Die Münchner Autorin Désirée Opela macht die Übergangsphase zum Lebenskonzept
Nach über neunmonatigem Katastrophenmodus erschaudert man ja schon, wenn sich im gestreamten Film Leute die Hände schütteln, sich umarmen oder gar küssen. Man zuckt auch, wenn sie in Büchern unbedarft durch die Stadt ziehen, sich schmauchend, saufend und schwätzend durch überfüllte Bars und Partyküchen drücken. Es überkommt einen aber bisweilen auch eine neue Form der Nostalgie, eine Sehnsucht nach dieser scheinbar unbemerkt vorbeiziehenden Normalität. Früher wirkte sie manchmal trist, heute kommt sie einem paradiesisch vor. Alles eine Frage der Perspektive.
Ein Kippbild wie dieses zieht die Münchner Autorin Désirée Opela in ihrem Debütroman auf. »In Limbo« heißt das 2019 erschienene Bändchen bezeichnenderweise, nicht nur ein Hinweis auf die Vorhölle der unschuldig Schuldigen in Dantes »Göttlicher Komödie«, sondern auch auf den gleichnamigen Song der britischen Band Radiohead. Die Geschwister Marie und Lukas hängen in der Luft zwischen Elternhaus und Eigenständigkeit. Lukas ist gerade ausgezogen und studiert Architektur, Marie weiß nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen will und sitzt erst mal an der Supermarktkasse. In kurzen Vignetten sieht man sie mit Lukas’ Freundin Zoe und seinem Kumpel Krabbe ziellos und rauschhaft durch das vor Sommerhitze bitzelnde München wabern. Sie alle sind auf der Suche nach ihrem individuellen künstlerischen Ausdruck, Lukas in Entwürfen, Zoe in Fotografien, Krabbe in Gemälden und Marie in den nicht enden wollenden Wortlisten in ihrem Notizbuch. »ae-ro-dy-na-misch« steht da etwa oder »os-mo-tisch«. Sie sucht nach Verbindungen zwischen all diesen Begriffen und nach deren Bedeutung für ihre Haltung zur Welt.
Eine nervöse Rastlosigkeit umgibt Lukas und Marie, denn sie merken, dass die eigene Neuausrichtung auch etwas mit der Beziehung zueinander macht, die sie eigentlich als Konstante wahrgenommen hatten. »Als würdest du in ein Bild schauen, das in ein Bild schaut, das ist genau die Logik: Schichten«, beschreibt Krabbe den Blick von Lukas’ Balkon beim Feierabendbier. Das Scharfstellen zwischen diesen Ebenen ist es, das ihnen allen manchmal schwerfällt. In den gleitend verschwimmenden Sommertagen fließen Unbeschwertheit und Orientierungslosigkeit, Vorfreude und Nostalgie ineinander, ein kurzes Innehalten vor einer sich schon ankündigenden Veränderung. Opela gelingt es bei all diesem Wabern, nahtlos zwischen den Innenwelten der Geschwister und ihrem Umfeld hin und her zu blenden. Sie macht dadurch deutlich, dass die Comingof-Age-Geschichte der beiden nur als Folie für jede Form des Übergangs gelesen werden kann. Denn auch die Erwachsenen scheinen sich in einem Transformationsprozess zu befinden, die Mutter hat eine Affäre, der Vater schweigt und kocht Apfelmus. Und langsam dämmert es einem: Vielleicht ist die Übergangsphase ein Dauerzustand, den es nicht nur auszusitzen, sondern den es auszukosten gilt. Bei einer abendlichen Riesenradfahrt im Olympiapark sagt Lukas zu Marie und Krabbe: »Wisst Ihr, in solchen Momenten weiß man irgendwie, dass es egal ist, wie es ausgeht.«
Diese Rezension stellt uns freundlicherweise das "Münchner Feuilleton" zur Verfügung.