In Frank Schmolkes eindrucksvoller Graphic Novel wird der Taxifahrer zum Helden.
Es gibt Comic-Helden, die weder Umhang tragen noch Superkräfte besitzen. Vincent ist so ein Alltagsheld, statt Batmobil fährt er Taxi. Jede Nacht, zu allen möglichen Zielen, mit den unterschiedlichsten Gästen. Gleich in der ersten Szene sitzen zwei Geschäftsleute in seinem Fahrzeug. Richtung Flughafen, eilig, etwas schneller bitte, plötzlich Blitz: Führerschein und Fahrzeugschein, bitte. Was ihn die Kontrolle koste, fragen die Fahrgäste, nachdem sie schließlich ankommen. Einen Punkt und 125 Euro. Da bekommt einer von ihnen doch noch so etwas Ähnliches wie Mitgefühl und gibt Vincent Trinkgeld – ganze zwei Euro.
»Nachts im Paradies« heißt Frank Schmolkes neue Graphic Novel. Sie spielt im reichen, satten München, wie auch schon das Comic-Debüt des Grafikers 2013 mit dem Titel »Trabanten«. Schmolke fährt selbst seit 30 Jahren Taxi in dieser Stadt, in den letzten Jahren allerdings seltener, dank seines Erfolgs als Grafiker. In seiner Geschichte kondensiert er seine Berufserfahrungen in drei Nächte. Der Autor weiß, dass diese Stadt nicht so paradiesisch ist für einen, der manchmal die Nacht durcharbeitet und oft genug doch keine 100 Euro verdient. Und bald lässt er es auch die Leser seines Comics wissen: München ist nur für diejenigen ein Paradies, die es sich leisten können.
Mitunter wird der Comic fantastisch, doch nie unrealistisch. Vincent rettet bis schon über die Bewusstlosigkeit hinaus besoffene Frauen, begegnet Schlägern, Dieben und Zuhältern. Übergriffige Jugendliche werden zum Wolfsrudel, das seine Beute jagt. Paradiesischen Umsatz macht ein Taxler nur dann, wenn die Gäste besonders dämonisch sind. Die Oktoberfestmeute schleppt sich als Zombiehorde die Stufen zum Friedensengel hinauf, stürmt auf die Taxis zu, die versoffenen Massen schlagen sich um die wenigen Plätze, feiern während der Fahrt grölend weiter, vögeln komplett enthemmt auf der Rückbank und übergeben sich schließlich über die Sitze.
Zu den Strapazen der Arbeit kommt noch das Privatleben. Die Wohnung wird saniert und damit bald zu teuer für Vincent. Von seiner Frau ist er schon lange geschieden. Die Beziehung zur Tochter ist zwar sehr gut – die meisten der wenigen großformatigen Zeichnungen über zwei Seiten widmet Schmolke den beiden –, aber wie soll Vincent Zeit für sie finden, zwischen seinen Nachteinsätzen und ihren Teenagerinteressen? Auf einer Party gerät sie schließlich in Gefahr, doch da ist der Vater
selbst mit Gestalten der Unterwelt beschäftigt.
Was geradezu dokumentarisch beginnt, wird immer mehr zum Film noir. Dazwischen zeigt sich ein feiner Humor. Frank Schmolke mischt die Genres und die Erzählstränge ebenso geschickt, wie er immer wieder mit seinen visuellen Einfällen überrascht. Dann sprengt er das Seitenformat oder lässt Vincent etwa wie einen Feldherrn zu Pferd auf dem Motorrad zur Rettung seiner Tochter reiten. Das alles verbindet sich zu einer rasanten Geschichte. Die Schwarz-Weiß-Bilder dazu wirken mitunter wie expressionistische Holzschnitte, sie basieren auf Skizzen, die Schmolke während seiner Arbeit als Taxifahrer gezeichnet hat.
Der Beruf des Taxifahrers hat ein so niedriges Ansehen, dass er als Witz herhalten muss, wenn junge Studenten der Geisteswissenschaften oder der Künste gefragt werden, was sie denn später einmal mit ihrem Studium werden wollen. Schmolke aber arbeitet das Heldenhafte im Taxler heraus und umschifft trotzdem die Gefahr, den Beruf zu verherrlichen. Er ist ein stiller Held, dieser Vincent, einer, der entgegen allen Widrigkeiten einfach nur seinen Job macht. Hast du Geld? Dann steig ein.
Diese Rezension wurde uns freundlicherweise vom Münchner Feuilleton zur Verfügung gestellt.