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Eine neue Zeit. Die „Goldenen Zwanziger“ in Oberbayern

Ein von der Forschung lange vernachlässigtes Thema vermittelt das Freilichtmuseum Glentleiten seinen Besuchern mit der Ausstellung „Eine neue Zeit. Die ‚Goldenen Zwanziger‘ in Oberbayern“, die bereits im Jahr 2019 zu sehen war und nochmals vom 19. März bis 14. Juni 2020 gezeigt wird. Der dazu erschienene Begleitband thematisiert wichtige Entwicklungen in Oberbayern im Jahrzehnt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918.

Die im Münchner Volk-Verlag erschienene Publikation verdeutlicht anhand von zehn Aufsätzen, deren Bearbeiter in einem Autorenverzeichnis am Ende der Publikation vorgestellt werden, warum es dieses Jahrzehnt längst verdient, wissenschaftlich genauer unter die Lupe genommen zu werden. Interessant ist der Blick auf die Landwirtschaft als wichtigem Wirtschaftszweig im Untersuchungsraum. Sowohl technische Innovationen wie der verstärkte Einsatz von Maschinen, deren Anzahl sich in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verdoppelte, als auch eine intensivere Bodennutzung erhöhten beispielsweise die Erträge beim Feldbau, obwohl sich gleichzeitig die Anbaufläche verringerte. Eingegangen wird auf die Phänomene, warum sich die Zahl der in der Landwirtschaft arbeitenden Bevölkerung bereits im Zeitraum von 1907 bis 1925 spürbar verringerte, welche Chancen und Probleme die Milchwirtschaft mit sich brachte oder welche Auswirkungen die unterschiedlichen Bodenverhältnisse einzelner Regionen Oberbayerns auf den Feldbau hatten.

Interessante Aspekte bieten die Betrachtungen der Erinnerungskultur und der Veränderungen in der politischen Landschaft. Die durch Kriegserlebnisse und Verlust traumatisierte Gesellschaft entwickelte eine intensive Gedenkkultur, die sich vielerorts in der Errichtung von Kriegergedächtnisstätten manifestierte. Die Entwicklung der Parteienlandschaft spiegelt die wechselvolle Geschichte der Zwanziger Jahre wider. Nach dem politisch unruhigen Jahr 1919, das, zum Teil auch im kleinstädtischen Milieu, bis Anfang Mai von revolutionären Entwicklungen geprägt war, folgte eine Phase der Konsolidierung, in der die Bayerische Volkspartei (BVP) und der Christliche Bauernverein als prägende Kräfte im ländlichen Raum agierten. Die NSDAP entdeckte 1928 die Bevölkerung im ländlichen Raum Oberbayerns als Zielgruppe und konnte vor dem Hintergrund der seit 1930 stark zunehmenden Arbeitslosigkeit mit der Organisation einer Welle von Kundgebungen insbesondere ab 1932 bei den Wahlen Stimmenzugewinne erzielen und zur stärksten Kraft werden.

Im Untersuchungszeitraum trat die Elektrifizierung Oberbayerns – zunächst für die nur in geringem Maße vorhandene Industrie und das Gewerbe von größerer Bedeutung – ihren Siegeszug an. Im ländlichen Raum wurden Transformatorenhäuser und Überlandleitungen errichtet, die das Orts- und Landschaftsbild prägten und den elektrischen Strom in die Einzelhaushalte brachten.

Im sorgfältig redigierten Band zu den „Goldenen Zwanzigern“ auf dem Land, dessen Beiträge mit Anmerkungen, Quellen- und wertvollen Literaturhinweisen aufwarten, werden auch die Themen Baukultur, Kino oder Mode untersucht und mit anschaulichen Aufnahmen aus allen Teilen Oberbayerns illustriert. Vergleichende Zahlen und Tabellen machen regionaltypische Unterschiede bei den Entwicklungen deutlich. Eine interessante, Neugier weckende Idee ist die auf einigen Buchseiten erfolgte Platzierung eines Statements zu den jeweiligen Entwicklungen, das den Leser kurz über spannende und zum Teil unerwartete Zusammenhänge informiert.

Für eine Annäherung an diese aufgrund der hervorragenden Quellenlage zu eigenen Recherchen einladende Zeit des Umbruchs bietet der Band wertvolle Anregungen, die, so bleibt zu hoffen, Anlass für weitere lokalhistorische und kulturgeschichtliche Detailstudien sein werden.

 Andreas Sauer

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Diese Buchbesprechung hat uns die „Zeitschrift „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.

Eine neue Zeit. Die „Goldenen Zwanziger“ in Oberbayern