Der Architekt August Blössner (1875–1960) prägte entscheidend die Geschichte der Stadtentwicklung Münchens. Im Jahr 1916 übernahm er die Leitung des Stadterweiterungsbüros, das 1893 unter der Leitung von Prof. Theodor Fischer gegründet worden war. Dessen innovatives städtebauliches Konzept der Staffelbauordnung wurde von Blössner umgesetzt und weiterentwickelt; es sollte in München letztlich bis ins späte 20. Jahrhundert hinein Berücksichtigung finden.
Nur zwei Jahre nach Beginn seiner Amtszeit verfasste Blössner die Dokumentation „25 Jahre Münchener Stadterweiterung 1893 bis 1918“, die 1918 zum 25-jährigen Jubiläum des Stadterweiterungsbüros erschien. Doch auch nach seiner Versetzung in den Ruhestand im Jahr 1936 blieb er diesem Thema verbunden. 1949 stellte er ein umfangreiches Typoskript mit dem Titel „Verhandlungen und Planungen zur städtebaulichen Entwicklung der Stadt München von 1871 bis 1933“ fertig, dessen Publikation jedoch an den ungünstigen Zeitumständen – unter anderem an Papiermangel – scheiterte. 1951 konnten zumindest einige hektografierte Kopien davon angefertigt werden.
Beide Werke waren aber letztlich nur für eine stark begrenzte Öffentlichkeit greifbar. Deshalb „hat sich der Arbeitskreis Öffentliches Grün im Münchener Forum entschlossen, die beiden grundlegenden Dokumentationen von August Blössner für einen größeren Kreis zugänglich zu machen,“ wie im Vorwort zu lesen ist. Für diese Entscheidung ist dem Verleger sowie den beiden Herausgebern in hohem Maße zu danken, denn Blössners Arbeiten haben es auch nach mehr als 70 bzw. 100 Jahren verdient, in angemessener Weise veröffentlicht zu werden.
Während die schmale Jubiläumsschrift von 1918 einen Umfang von nur 16 Seiten besitzt, kann August Blössner in seiner Gesamtdarstellung von 1949 eine beeindruckende Anzahl von städtebaulichen, erschließungstechnischen und landschaftsplanerischen Maßnahmen zur Stadtentwicklung Münchens im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aufzeigen. Diese sind sehr übersichtlich präsentiert, indem jeweils am äußeren Buchrand passende Schlagwörter zum Ort oder zum Thema angeführt sind. Um den äußeren Rahmen des Buches nicht zu sprengen, wurde auf Plandarstellungen verzichtet. Dieses kleine Manko tut der Publikation jedoch insofern keinen Abbruch, als August Blössner die Sachverhalte sehr anschaulich und verständlich schildert.
Als Blössner sein in den späten 1930er Jahren begonnenes Typoskript 1949 abschloss, waren zahlreiche Stadtteile und Quartiere aufgrund der verheerenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg schon nicht mehr im Originalzustand erlebbar. Seinen Ausführungen ist daher ein hoher historischer Zeugniswert beizumessen. Gerade die verloren gegangenen bzw. die nicht realisierten Planungen machen das Buch überaus spannend und interessant. Man erfährt die Hintergründe sowie die Abwägungs- bzw. Entscheidungsprozesse für diese Konzepte und Ideen. Darüber hinaus gibt der Verfasser aufschlussreiche persönliche Wertungen und Einschätzungen ab, inwieweit diese Planungen für das Stadtbild Münchens von Vor- oder Nachteil gewesen wären.
August Blössner gibt die „Verhandlungen und Planungen“ in einer sehr anschaulichen Weise wieder, so, als ob man auf einem Spaziergang durch die entsprechenden Stadtteile wandern würde. Dabei geht er auch auf kuriose, längst verschwundene Besonderheiten ein, wie beispielsweise auf die Gleispferdebahn, auf Sesselträger als Verkehrsmittel, auf Pferderennen auf der Ludwig- und Leopoldstraße oder auf die Vorläufer des Tierparks Hellabrunn.
Er geht aber auch auf die Entstehungsgeschichte der Stadtplanung ein, wenn er etwa beschreibt, wie der Wettbewerb zur Stadterweiterung im Jahr 1893 als Wegweiser diente, um die dringliche Notwendigkeit eines Planungsinstruments zu erkennen, welches aus ortskundiger und objektiver Sicht heraus und unter ästhetischen Gesichtspunkten die Stadt als Ganzheit betrachtet. Als Folge davon wurde noch im selben Jahr das bereits erwähnte Stadterweiterungsbüro gegründet. Selbstverständlich wird auch die Münchner Staffelbauordnung, die als Ergebnis aus diesen Bemühungen hervorgegangen war, in ihrer Entstehung und in ihren inhaltlichen Zielsetzungen von Blössner ausführlich dargestellt.
Darüber hinaus erläutert der Autor die in der Stadtverwaltung behandelten Fragestellungen des Erhalts prägender historischer Bauten und der Schutzwürdigkeit der Nähe zu historischen Monumenten, auch wenn es damals noch längst kein Denkmalschutzgesetz gab. August Blössner schildert in diesem Zusammenhang beispielsweise die Bemühungen, den Turm des Alten Rathauses, das Isartor und das Sendlinger Tor zu erhalten, deren Abbruch tatsächlich gefordert worden war. Er informiert den Leser auch darüber, dass die Planung des Neuen Rathausturms, entworfen vom Architekten Georg von Hauberrisser, sehr kontrovers diskutiert wurde. Man befürchtete, dass der neue Turm die Blickbeziehung vom Tal auf die Türme der Frauenkirche beeinträchtigen würde. Die Wertschätzung alter Gebäude und ihrer Bedeutung für die Stadtidentität sind also keineswegs nur Forderungen unserer Zeit.
In der Gesamtsicht des behandelten Zeitraums von 1871 bis 1933 kann festgestellt werden, dass es in der Bautätigkeit nie einen Stillstand gab, außer in Krisen- oder Kriegszeiten. Zudem vertrat die Münchner Stadtentwicklungsplanung schon damals durchgängig die Zielsetzung, das Althergebrachte zu bewahren, es aber auch zeitgemäß weiterzuentwickeln. Im Mittelpunkt der Planungen stand dabei stets das Anliegen, dem Charakter der Landeshauptstadt gerecht zu werden.
Zusammenfassend kann als Glücksfall bezeichnet werden, dass die Werke Blössners jetzt, viele Jahrzehnte später, doch noch veröffentlicht wurden. Die Landeshauptstadt ist seither weiterhin stark überformt worden. Die Bemühungen der frühen Stadtplanung um eine qualitätvolle und räumlich-ästhetische Stadtentwicklung auf Grundlage der Münchner Eigenheiten geraten auf diese Weise nicht in Vergessenheit und können reflektierend in das Bewusstsein für heutige Planungen einwirken.
Das Buch ist jedoch nicht nur für Fachleute aus dem Planungswesen eine Bereicherung; es kann auch den Bürgerinnen und Bürgern Münchens, die sich in ihrer Stadt auskennen und sich auch für das Verborgene oder für das nicht Realisierte interessieren, sehr empfohlen werden.
Die herausragende Bedeutung von August Blössner als Stadtplaner ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Umso erfreulicher ist es, dass er nun wieder in Erinnerung gerufen wird und ihm vielleicht wieder die Wertschätzung zuteilwird, die er bereits zu Lebzeiten genoss. Erwähnt sei die Ernennung zum Ehrenmitglied des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege im Jahr 1952 als Würdigung und Anerkennung für sein Lebenswerk.
Diese Buchbesprechung hat uns die „Zeitschrift „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.