16.07.2021 | Regina Frisch
Die vom Bezirk Mittelfranken herausgegebene Schriftenreihe „Geschichte und Kultur in Mittelfranken“ hat sich zur Aufgabe gemacht, wissenschaftliche Forschungen und Tagungsergebnisse der Bezirksheimatpflege einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Der Tagungsband zum „Tag der Franken 2018“ erscheint unter dem Titel „Festtagsschmaus und Einheitsbrei. Ernährung in Franken von der Antike bis zur Gegenwart“ als 7. Band der Reihe. Beworben wird er im Flyer mit „Auf den Spuren der kulinarischen Identität Frankens“. Und tatsächlich kann man aus dem Sammelband vor allem lernen, dass Franken eine reiche kulinarische Geschichte hat, die je nach sozialer Herkunft sehr verschieden aussah.
„Ernährung in Franken ist ein komplexes Forschungsfeld, zumal wenn man sie über die Jahrhunderte betrachtet“, so beginnt die Mitherausgeberin Andrea M. Kluxen ihr Geleitwort. Wie vielfältig der Gegenstand und seine Forschung sind, zeigen die 19 folgenden Beiträge der 18 Autoren auf. Sie machen Lust auf mehr: Lust aufs Essen und Lust auf die Forschung darüber.
Fangen wir hinten an: Die ersten Einträge des Ortsregisters lauten „Aachen – Abenberg – Ägypten – Aischgrund – Allgäu – Almáskamarás – Alpen – Altenberg“. Franken hat ein großes Hinterland! Schon diese wenigen Ortsangaben veranschaulichen die vielfältigen regionalen Beziehungen, in denen diese Kulturlandschaft stand und steht. Da die Herausgeberinnen „historische Entwicklungen, die von vielen naturräumlichen, technischen und gesellschaftlichen Faktoren bestimmt werden,“ darstellen wollen, lautet der Untertitel nicht umsonst „Ernährung in Franken“ und nicht „fränkische Küche“ (S. 11).
Die Anordnung der Beiträge ist in großen Zügen chronologisch. Für diese Besprechung orientiere ich mich an den titelgebenden Stichworten „Festtagsschmaus“ und „Einheitsbrei“. Wo werden Fest- und wo Alltagsessen beschrieben? Ich beginne mit den Festen.
Der Beitrag „Schauessen und Schaugerichte“ führt uns in die frühe Neuzeit. In der exotischen Welt des Barocks dienen Mahlzeiten dem Repräsentieren, Inszenieren und Sichern von Herrschaft. Der Vorgang des Essens wird zur Show und Gerichte haben statt Nährwerten Symbolwerte. Dies gilt für Hochzeiten und Vertragsabschlüsse gleichermaßen. So fanden z. B. anlässlich des Westfälischen Friedens 1649/50 viele Schauessen statt, darunter das „größte und bedeutendste barocke Fest auf Reichsgebiet“ (S. 112) in Nürnberg. Ende des 18. und im 19. Jahrhundert verlieren die Schauessen ihre theoretische und praktische Basis: Die Herrschaftsformen und die Serviermode ändern sich, das bürgerliche Zeitalter bricht an. Gerichte werden nicht mehr in Schüsseln und auf Platten präsentiert und am Tisch portioniert. Der Service à la russe löst den Service à la française ab. Bei ihm wird das Essen bereits portioniert aufgetragen. Da auf diese Weise das Anschauungsmaterial fehlt, bedarf es der Dokumentation dessen, was auf dem Teller liegt. Die Menükarte begleitet fortan ein festliches Essen. Die Menükarten-Sammlung des Nürnberger Essigfabrikanten Karl Raab belegt eindrucksvoll, wie um 1900 getafelt wurde. Den
Gästen einer Silbernen Hochzeit im Nürnberger Hotel Strauss wurden 1894 Königin-Suppe, Forelle blau mit Kartoffeln, Rehrücken, Stangenspargel, Zunge und Eierkuchen, Rebhühner, Hummer, Zitronenpudding, Fürst-Pückler-Eis, Käse und anderes mehr gereicht. Feste auf dem Land brauchten dagegen keine geschriebenen Speisenfolgen. Beim Schlachtfest und der Kirchweih waren die Speisen vorhersehbar, weil tradiert, dazu gehörten und gehören noch heute im Nürnberger Land Metzelsuppe und Küchla.
Schauen wir auf den alltäglichen Einheitsbrei. Die Beiträge machen deutlich, wie sehr der soziale Status die Ernährung bestimmte. Aus dem spätmittelalterlichen Haushaltsplan des Reichsgrafen Joachim von Oettingen geht hervor, dass sich Arbeiter, Wächter und Gesinde morgens mit Suppe oder Mus und Milch stärkten. Hingegen standen Priestern und Edelleuten für die morgendliche Mahlzeit fünf Gänge zu, den Räten und Jungfrauen sechs und dem Grafen acht. An Fleischtagen bestand sein Menü aus: 1. Voressen (z. B. Wildbret, Vögel, Wurst), 2. Suppe (häufig mit Fleischeinlage), 3. Gesottenes Kraut und Rüben, 4. Ragout, 5. Musgericht, 6. Sülze oder Kalbsfüße, 7. Gebratenes, 8. Reis, Gerste, Dinkel.
Seit dem Spätmittelalter gehören von Ansbach bis Würzburg Spitäler zum fränkischen Stadtbild, gestiftet von Kirche, Adel und Bürgertum. Hatte man das Glück, seinen Lebensabend in einem solchen Wohnstift zu verbringen, war man der Sorge um Kleidung, Wohnung und Nahrung enthoben. Wobei auch hier die wirtschaftlichen Verhältnisse der verschiedenen Bewohner die Welt außerhalb des Spitals spiegelten: „Wer arm ins Spital kam, blieb arm, wer sich eine reiche Pfründe kaufen konnte, erhielt auch bezüglich Essen und Trinken bessere Leistungen“ (S. 66).
Der Alltagskost auf dem Land widmen sich mehrere Beiträge. Ihnen ist zu entnehmen, dass die Ernährung im ländlichen Raum Frankens bis 1900 wenig mit dem zu tun hat, was wir heute unter „fränkischer Küche“ verstehen. Jahrhunderte hindurch wärmten sich die Bewohner fränkischer Bauernhäuser am Ofen, an dem sie auch ihre Wäsche trockneten und ihr Essen zubereiteten. „Kartoffeln, Kraut (mit Fleisch), Klöße (Knödel) und Kaffee wurden direkt im Ofenloch am Feuer gekocht“ (S. 227). Dem Siegeszug der bürgerlichen Küche auf dem Lande gingen die Entwicklung der Landwirtschaft und der Küchentechnik sowie die Alphabetisierung der Landbevölkerung voraus. Lesend erschlossen sich die Bäuerinnen Kochbücher von Henriette Davidis und Katharina Prato, und mitschreibend folgten sie dem Unterricht der Wanderkochkurse Anfang des 20. Jahrhunderts. Voraussetzung für die Zubereitung eines Schäufeles war ein sogenannter Sparherd, der ab 1850 in die Küchen auf dem Land einzog. Wie viel Zeit dieser Wandel jedoch brauchte, zeigt die Tatsache, dass teils noch in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts im Oberpfälzer Jura mit dem Ofen gekocht wurde.
Der Tagungsband breitet eine bunte inhaltliche Palette vor uns aus. Nicht nur die Themen sind vielfältig, auch die Quellen, mit denen die Autoren ihre Ausführungen belegen. Neben verschiedensten Kochbüchern geben u. a. archäobotanische Funde, Bildquellen, serielle Quellen, Reiseberichte, Physikatsberichte, Speisekarten, Lehrpläne und Liedtexte, aber auch Erkenntnisse aus teilnehmender Beobachtung Auskunft über die Ernährung in Franken. Die sorgfältige Herangehensweise entlarvt auch Klischees, so dasjenige vom bayerischen Wirtshaus als „öffentlichem Wohnzimmer“ (S. 378), in dem sich angeblich die Dorfgemeinschaft, ungeachtet des Geschlechts, sozialen Status und Alters traf. Tatsächlich ist die Erfolgsgeschichte des Wirtshauses eng verbunden mit dem Aufkommen des Vereinswesens vor 100 Jahren, und heute leben ländliche Wirtshäuser in Bayern oftmals davon, beliebte Ausflugsziele von Touristen zu sein.
Wie eingangs bereits erwähnt, bietet das Buch nicht nur geistige Nahrung, es macht darüber hinaus regelrecht Lust aufs Essen: auf Bratwurst, deren Qualität seit dem Spätmittelalter mit „Bratwurst-Geboten“ streng überwacht wird, auf Karpfen, den sich mittlerweile jeder leisten kann, wo er doch im 16. Jahrhundert ein teures Herrschaftsessen war, auf Kartoffeln, die im Fichtelgebirge bereits im 17. Jahrhundert angebaut wurden, und auf Kesselsuppe, die in manch fränkischem Dorf noch immer am Schlachttag ausgetragen wird.
Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.