Rezensionen
 

Gemeinde Sielenbach

Die Zeiten, in denen quasi alle paar Wochen irgendwo in Bayern eine Ortschronik erschien, sind längst vorbei. Dies liegt zum einen daran, dass mittlerweile die meisten Gemeinden Publikationen über ihre Geschichte herausgebracht haben. Es liegt zum anderen aber sicherlich auch daran, dass es immer weniger Forscher gibt, die das nötige fachliche Rüstzeug mitbringen, um sich an eine solch monumentale Aufgabe heranzuwagen. Umso mehr freut man sich daher über jedes neue gelungene Ortsbuch. Ein solches Beispiel für ein ebenso inhaltsreiches und fundiertes wie ansprechend aufbereitetes Werk hat nun die Gemeinde Sielenbach im Landkreis Aichach-Friedberg vorgelegt.

Keine Frage: Damit ein solches Buchprojekt zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann, müssen die Voraussetzungen stimmen, so wie es auch in Sielenbach der Fall war. Obwohl die Gemeinde keine 2000 Einwohner zählt, war sie bereit, eine beträchtliche Geldsumme in die Hand zu nehmen, um die eigene Vergangenheit sachkundig aufarbeiten zu lassen. Als Herausgeber konnte sie zwei Fachleute gewinnen, die für diese Aufgabe geradezu prädestiniert waren: den Landeshistoriker Prof. Dr. Wilhelm Liebhart, der bereits mehrere Ortsbücher ediert sowie zahllose Beiträge zur Geschichte des Aichacher Raumes verfasst hat, sowie den Diplom-Geographen Michael Ritter, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, der seit Jahrzehnten Material über sein Heimatdorf Sielenbach zusammengetragen und ebenfalls heimatgeschichtliche Aufsätze veröffentlicht hat. Den beiden Herausgebern, die selbstverständlich selbst mehrere Beiträge zu Papier brachten, stand eine Reihe überaus kompetenter Autoren zur Seite, die verschiedenste Themen bearbeiteten. Dies waren Verfasser, die entweder – wie Angela Asam (Pfarrgeschichte Tödtenried) – aus der Gemeinde selbst kamen, die – wie Kreisheimatpfleger Dr. Hubert Raab (Vorgeschichte, Kapellen) und Kreisarchivpfleger Wolfgang Brandner (Ortsgeschichte 1945 bis 1978) – regionale Fachkompetenz einbrachten, oder die – wie der Namenforscher Dr. Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein (Ortsnamen) und der Kunsthistoriker Dr. Stefan Nadler (u. a. Wallfahrtskirche Maria Birnbaum) in überregionalen Fachinstitutionen wissenschaftlich tätig sind.

Inhaltlich deckt das Buch alle Bereiche ab, wie sie in einer Ortschronik nicht fehlen sollten. Neben der ausführlichen Darstellung der historischen Entwicklung Sielenbachs und seiner Ortsteile in Vorgeschichte, Mittelalter und Neuzeit werden Themen wie Natur und Landschaft, Kirchen- und Schulgeschichte, Haus- und Flurnamen, Landwirtschaft und Gewerbe, Volkskultur und Gesellschaft aufbereitet. Auch die örtlichen Vereine, die in Ortsbüchern ansonsten oft sehr stiefmütterlich behandelt werden, obwohl sie ein wesentlicher Identifikationsfaktor im dörflichen Leben sind, finden breite Berücksichtigung. Lobenswert ist zudem die Tatsache, dass die Beschreibungen möglichst bis in die Gegenwart herangeführt wurden und dabei auch heikle Themen nicht ausgespart sind. So wurden etwa von Dr. Cornelia Oelwein die persönlichen Verstrickungen einzelner Bürger in der Zeit des Nationalsozialismus ebenso wenig verschwiegen wie von Dr. Berndt Herrmann die kommunalpolitischen Streitereien in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.

Spannend bei der Lektüre von Ortsmonographien ist auch die Tatsache, dass immer wieder Quellen Eingang finden, die von der Fachwissenschaft bislang nicht entdeckt oder zumindest nicht wahrgenommen wurden. Erwähnt seien hier beispielsweise die volkskundlichen Aufzeichnungen eines Sielenbacher Lehrerssohnes aus den 1920er Jahren, die in Dr. Monika Ständeckes Beitrag über Bräuche und Feste einflossen. Und auch manch unübliches methodisches Vorgehen führte zu außerordentlich ertragreichen Ergebnissen wie etwa der Aufsatz von Erich Hofgärtner über die Sielenbacher Tracht, die er am Beispiel der letzten Frau im Dorf, die noch das ortstypische „boarische Gwand“ getragen hatte, veranschaulichte, nachdem er in mehreren Interviews mit ihr nicht nur einzigartige kleidungsgeschichtliche Informationen, sondern auch die Anlässe, zu denen die verschiedenen Trachten getragen wurden, in Erfahrung gebracht hatte.

Trotz all dieser inhaltlichen Fülle ist die Lektüre dieses Buches jedoch keineswegs ermüdend, umso weniger als immer wieder auch Berichte über außergewöhnliche Ereignisse eingestreut sind, sei es der Doppelmord von 1868, der in ganz Bayern Aufsehen erregte, die Lebensgeschichte eines abenteuerlustigen jungen Mannes, der in den 1920er Jahren als „Tippelbruder“ durch die Welt reiste, oder die Hochwasserkatastrophe von 1966, die ein Menschenleben forderte. Über die Texte der knapp 40 Beiträge hinaus lädt eine Vielzahl an Abbildungen ein, in die einstige Alltagswelt eines Bauerndorfes einzutauchen.

Die Gemeinde Sielenbach hat sich selbst mit dem Erscheinen dieses Werkes einen lange gehegten Wunsch erfüllt, wie Bürgermeister Martin Echter in seinem Vorwort hervorhebt. Sie hat aber auch ihren Bürgerinnen und Bürgern ein Geschenk gemacht, das ihnen fraglos viele anregende Stunden bescheren wird. Darüber hinaus sei jedoch nicht vergessen, dass Publikationen wie das Ortsbuch von Sielenbach auch einen außerordentlich wichtigen Beitrag leisten, um das Verständnis für unsere Heimat zu vertiefen.

 Wolfgang Pledl

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Diese Buchbesprechung hat uns die „Zeitschrift „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.

Gemeinde Sielenbach

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in Zusammenarbeit mit Gerhard Willhalm (stadtgeschichte-muenchen.de)


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