02.07.2022 | Baumgartner Mathias
Stoiber, Johannes – Franz, Monika Ruth (Bearb.): Die Burg brennt! Die Landshuter Katastrophe vom 21.10.1961. – München (Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns) 2021. 156 S. m. 90 Abb. – (Staatliche Archive Bayerns – Kleine Ausstellungen, 67).
60 Jahre ist es her, dass in den frühen Morgenstunden des 21. Oktober 1961 Teile der Burg Trausnitz über Landshut einer verheerenden Brandkatastrophe zum Opfer fielen. Ausgelöst von einem Tauchsieder, der von einer Reinigungskraft zur Erwärmung des Putzwassers eingesetzt, dann aber vergessen worden war, vernichtete das Feuer ausgerechnet das Herzstück der Burg, den Fürstenbau, bis auf die Umfassungsmauern; hölzerne Wände und Decken sowie die bis zu 80 cm tiefen Fehlböden, in denen sich Schwelgase unkontrolliert ausbreiten und schließlich durchzünden konnten, trugen zur weiträumigen Ausbreitung des Feuers bei. Als fatal für die Brandbekämpfung erwiesen sich die Suche nach den richtigen Schlüsseln, vergitterte Fenster, fehlende Brandabschnitte, eine viel zu enge Burgzufahrt und die mangelnde Löschwasserversorgung (weshalb erst mühsam Schlauchleitungen von der Stadt auf den Burgberg gelegt werden mussten). Auch auf den rechtwinklig an den Fürstenbau anstoßenden Dürnitztrakt griff das Feuer über. Zwar konnte die dort befindliche Burgkapelle mit ihrer bedeutenden Ausstattung vor den Flammen bewahrt werden, doch brannte der über ihr gelegene St.-Georgs-Rittersaal mit seiner unter Herzog Ludwig X. entstandenen Renaissanceausstattung vollkommen aus. Der westlich anschließende Italienische Anbau mit der berühmten, vollständig ausgemalten Narrentreppe konnte gerettet werden, auch wenn die Malereien große Schäden durch Hitze und Ruß davontrugen. Immerhin war es möglich, in den brandgeschädigten Bereichen die originale Malschicht aus den 1570er Jahren freizulegen.
Doch nicht nur der Verlust von Kunstwerken war auf der Trausnitz zu beklagen, sondern auch bedeutende Archivalien gingen zugrunde oder wurden erheblich beschädigt. Denn die Burg beherbergte das Staatsarchiv Landshut, „das Gedächtnis Niederbayerns“, dessen Archivgut auf verschiedene Gebäudeteile, so auch das Erdgeschoss des Fürstenbaus, aufgeteilt war. Obwohl es gelang, einen Großteil der Dokumente in einem atemlosen Einsatz der Rettungskräfte noch rechtzeitig vor dem Einsturz der Decken zu bergen, waren immerhin „300 laufende Meter Archivgut vollständig verbrannt [und] 8000 bis 9000 Archivalien mit ca. 2,5 Millionen Blatt ‚in irgendeiner Weise‘ behandlungsbedürftig“ (S. 65). Vor allem traf es die Briefprotokollserien der Gerichte seit dem 16. Jahrhundert (fast 30 % dieses Bestands wurden vernichtet) und die Akten des Hochstifts Passau, von denen nur etwa die Hälfte das Inferno überstand (S. 32).
In Erinnerung an die Brandkatastrophe, die bei der Landshuter Bevölkerung bis heute tief im Gedächtnis verankert geblieben ist und die bis zum Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar 2004 den größten Kulturgutverlust im Deutschland der Nachkriegszeit darstellte – bezüglich Archivgutverlusten nur noch übertroffen durch den Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 –, veranstaltete das Staatsarchiv Landshut in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Schlösserverwaltung und der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Landshut eine Sonderausstellung, als deren Begleitpublikation die handliche Broschüre erschienen ist. Die Publikation setzt inhaltlich deshalb eher archivspezifische Schwerpunkte, wobei auch die kunsthistorischen Aspekte nicht zu kurz kommen.
Einführend stellen Martin Rüth, der Leiter des Staatsarchivs Landshut, und Irmgard Lackner die bis zum Umzug des Staatsarchivs in einen Neubau 2016 währende Archivgeschichte der Burg Trausnitz vor, die von der Landesteilung 1255 bis zum Kölner Schiedsspruch 1505 als Hauptresidenz der niederbayerischen Herzöge, bis 1545 dann gut 30 Jahre als Regierungssitz des Mitregenten Ludwig X. sowie später immerhin noch als Wohnsitz der Erbprinzen Albrecht (V.) und Wilhelm (V.) bis zu dessen Regierungsantritt 1579 diente. Zwar ist nicht bekannt, seit wann hier Akten und sonstiges Schriftgut aufbewahrt wurden, doch gab es schon 1460 ein „Briefgewölbe“ und von 1609 datiert das älteste erhaltene Verzeichnis über die „Sachen, Bücher und Rechnungen aller Ämter“ des Rentamts Landshut (S. 12–13).
Johannes Stoiber bringt auf der Grundlage des Feuerwehreinsatzberichts und der Unterlagen der Ermittlungsbehörden eine Chronik des Burgbrands, der gegen 4 Uhr morgens von der Angehörigen eines auf der Burg wohnenden Archivbeamten entdeckt wurde und schließlich Ausmaße annahm, welche die Alarmierung weiterer Feuerwehren der Umgebung (bis aus Freising, München und Regensburg) und – zur Mithilfe bei der Bergung des Archivguts – des Technischen Hilfswerks und der Bundeswehr vonnöten machte. Erst am Nachmittag gelang es, das Feuer, bei dem auch fünf Feuerwehrmänner Verletzungen davontrugen (einer davon verstarb wenige Tage nach dem Unglück im Krankenhaus), zu löschen.
Brigitte Langer, für die Burg Trausnitz zuständige wissenschaftliche Referentin bei der Museumsabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung, stellt in ihrem Beitrag die verlorengegangenen Raumausstattungen vor. Im Wesentlichen entstammten diese dreierlei Epochen: aus der Renaissance der bereits erwähnte St.-Georgs-Rittersaal mit seiner Holzkassettendecke (die beim Wiederaufbau weitgehend nachgebildet werden konnte) und dem Prunkkamin, dessen von Daniel Hopfer entworfene Bildhauerarbeiten zugrunde gingen; aus der Spätrenaissance die Fürstenzimmer Erbprinz Wilhelms im ersten Obergeschoss des Fürstenbaus mit ihren von Friedrich Sustris entworfenen Wand- und Deckenmalereien (die unter Kurfürst Ferdinand Maria in den 1670er Jahren von dem Landshuter Barockmaler Franz Joseph Geiger, der drei Räume sogar komplett neu ausmalte, zum Teil erneuert und ergänzt worden waren); schließlich aus dem Historismus das in den 1870er Jahren eingerichtete „Absteigequartier“ König Ludwigs II. im zweiten Obergeschoss, von dem nur wenige Möbelstücke erhalten geblieben sind. Zerstört wurden auch die Kachelöfen – von 15 Öfen konnten gerade einmal zwei (mehr oder weniger beschädigt) geborgen werden. Aus den zahllosen Scherben versucht die Bayerische Schlösserverwaltung im Rahmen eines Projekts derzeit, einen Barockofen von 1679 zu rekonstruieren. Auch der Wiederaufbau des Fürstenbaus (er wurde nur äußerlich originalgetreu wiederhergestellt; im Inneren teilte man ihn in zwei Bereiche, zum einen für ein neues Magazin für das Staatsarchiv mit reversiblen, siebenstöckigen Regaleinbauten und zum anderen in einen für die Öffentlichkeit zugänglichen Teil) sowie die museale Neuordnung werden in Brigitte Langers Beitrag thematisiert.
Ann-Kathrin Eisenbach vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv beschäftigt sich mit der aufwändigen Restaurierung des beschädigten Archivguts, das zunächst getrocknet werden musste, um Schimmelbefall zuvorzukommen. Sie geht dabei auch auf die damals innovative, aus jetziger Sicht aber problematisch einzustufende Laminierung von Archivalienblättern ein und stellt die heute gebräuchlichen Maßnahmen zur Konservierung und Restaurierung brandgeschädigten Papiers vor, nämlich „das beidseitige Übervliesen in Japanpapier, das Anfasern mit Übervliesen und das Papierspalten“ (S. 87).
Abschließend folgt ein Katalogteil zu den in der Ausstellung gezeigten Exponaten, die in sechs mit „Die Burg vor dem Brand“, „Die Trausnitz und König Ludwig II.: Ein königliches ‚Absteigquartier‘ “, „Der Brand am 21. Oktober 1961“, „Juristische und archivkonservatorische Aufarbeitung des Brandes“, „Wiederaufbau der Burg seit 1961“ sowie „Menschliches Leid und Lehren für den Brandschutz“ überschriebene Kategorien eingeteilt sind.
Vor allem die reiche Bebilderung mit (z. T. bislang unpublizierten) Fotos des Vor- und Zerstörungszustands macht die leicht lesbare Broschüre auch für die breite Bevölkerung, vor allem für die Einwohnerschaft Landshuts, besonders interessant. Hilfreich wäre gewesen, wenn man Grundrisse des Fürstenbaus vor (beispielsweise jene aus dem Kunstdenkmäler-Inventar von 1927, S. 332–334) und nach dem Brand mit Kennzeichnung der einzelnen Räume gebracht hätte, denn die Raumaufteilung wurde beim Wiederaufbau weitgehend verändert und ist heute nicht mehr ohne Weiteres nachvollziehbar. Auch wäre eine Abbildung des jetzigen Zustands des heute im Bereich des Archivmagazins gelegenen und daher öffentlich nicht zugänglichen Erkers der ehem. Alten Tafelstube im ersten Obergeschoss interessant gewesen, in dem sich größere, wenn auch zum Teil rußgeschwärzte Reste der Malereien erhalten haben (ein historisches Foto siehe S. 100). Nach der Lektüre wünscht man sich, dass der Rückbau der Regalanlagen im seit dem Auszug des Staatsarchivs leerstehenden Archivmagazin und damit „die Chance, diesen historisch zentralen Trakt der Hauptburg zumindest in seinen wesentlichen Sälen wieder für die Burg zurückzugewinnen“ (S. 60), eines Tages Wirklichkeit wird.
Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.