Autor | Giloy-Hirtz Petra |
Verlag | Hugendubel Heinrich GmbH |
Seiten | 222 |
Suchbegriff | Kunst |
Buchart | Broschüre |
ISBN | 3880349576 |
Erschienen | 1997 |
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Neue Räume im Stadtbild besetzen
»Kunst ist schön«, sagte Karl Valentin einmal, »macht aber viel Arbeit.« Wie wahr! Jeder Künstler kann das bestätigen. Und wie steht es mit der Kunst im öffentlichen Raum? Sie ist auch manchmal schön, macht aber immer Ärger. Jeder Kommunalpolitiker weiß, wovon ich rede. Aber ich will nicht falsch verstanden werden: Dies ist nicht als Abkanzelung, nicht als Absage zu verstehen, ganz im Gegenteil - produktiven Ärger zu stiften gehört zu den vornehmsten Aufgaben der Kunst im öffentlichen Raum - sonst wäre sie ja keine. Breite Zustimmung kann man anderswo ernten.
Der Ärger beginnt schon, bevor die Kunst kommt. Da wird sie noch lauthals vermißt: von den Künstlern natürlich, die gerne öffentliche Aufträge einheimsen würden. Gerade die einheimischen müßten endlich einmal... Da heißt es streng sein. Die Möblierung der Straßen und Plätze mit Beliebigkeiten wäre kein Fortschritt, sondern nur peinlich. Dann folgt die Kritik der Feuilletons: Wo bleibt die kühne Geste der Avantgarde? Gefällt sich München nicht immer noch als Museum des 19. Jahrhunderts, wie Ludwig I. es ebenso schwülstig wie holpernd beschworen hat:
»Münchens Kunstausstellung suche Du nie in
den Sälen Der Ausstellung selbst; schaue Du München
Dir an.«
Schluß also mit Brunnenbuberln und tanzenden Mädchen, weg mit Rehlein und Schildkröten, her mit großer Kunst! Wird das Kunstwerk aber endlich aufgestellt, verstummen alle, die es einst gefordert haben. Statt dessen der Aufschrei der Anwohner, das Kopfschütteln der Passanten, die Proteste der Elternschaft: »Nichts gegen moderne Kunst, aber gerade vor der Schule ... zwei rostige Platten - dafür ham's Geld!« Das Feuilleton hat sich verflüchtigt, Ratlosigkeit bleibt. Also lieber keine Kunst im öffentlichen Raum - oder nur doch gefällige, mehrheitsfähige? Natürlich nicht.
Aber mit belesener Arroganz läßt sich der Unmut der vielen auch nicht aus der Welt schaffen. Wer den öffentlichen Raum prägen will, muß sich auf die öffentliche Auseinandersetzung einlassen. Ich denke da an Rudolf Wächters schräggestellten Tropenbaum am Edelweißplatz. Nachdem der Anwohnerprotest wochenlang die Zeitungsspalten gefüllt hatte, lud ich zu einer Diskussion mit dem Künstler ein. Der Saal war proppenvoll, die Stimmung der meist älteren Teilnehmer gereizt. Dann Aha-Erlebnis Nummer eins: Der Künstler ist kein ausgeflippter Jugendlicher, sondern ein Vertreter der eigenen Generation, sogar kriegsbeschädigt. Komisch, daß so einer so einen Schmarrn ... Aha-Erlebnis Nummer zwei: Der Mann konnte so über Holz, über Urwaldriesen, über industrielle Fertigung und Natursterben sprechen, daß alle im Saal spürten, hier geht es um etwas Wesentliches. Und zum Schluß, wie im Bilderbuch, Applaus für den Künstler: Warum hat man uns das nicht gleich gesagt?
Diesen Dialog würde ich mir öfter wünschen: Statt wechselseitigem Naserümpfen mehr Neu-Gier beim Publikum, weniger Hochmut bei den eingeweihten Akteuren, seien es Künstler oder Auftraggeber, Kritiker oder Kulturverwalter.
Die bewußte Wahrnehmung ist der erste Schritt zu einer konstruktiven Auseinandersetzung. Dieses Buch erleichtert sie. Viele bedeutende Skulpturen müssen leider mühsam im verborgenen aufgespürt werden (wie Max Bills konstruktivistische Arbeiten im Hof des Europäischen Patentamtes in der Bayerstraße) oder in neuen Siedlungsgebieten am Stadtrand (wie Albert Hiens »Objekt im See« in Neuperlach) oder gar außerhalb der Stadt im Untergrund (wie Keith Sonniers Lichtinstallation am Personenbeförderungsband des Flughafens). Nur die wenigsten sind so zentral plaziert wie Jonathan Borofskys »Walking Man« vor der Münchner Rück auf der Leopoldstraße, Dan Flavins gewöhnungsbedürftige Neonlampen-Installation vor dem Lenbachhaus, Rupprecht Geigers »Gerundetes Blau« vor dem Gasteig, Albert Hiens Trompete zwischen Gasteig und Gema-Gebäude oder Alf Lechners Arbeiten bei der Alten Pinakothek, am Königsplatz oder »hinter« dem Maximilianeum.
Wer sich die Fülle vor Augen führt, die in diesem Band dokumentiert ist, wird vielleicht nicht in jedem Einzelfall Beifall spenden wollen, aber doch zugeben müssen: Der öffentliche Raum Münchens ist keineswegs nur museal früheren Jahrhunderten zugewandt - er spiegelt vielmehr das aktuelle Kunstgeschehen wider, lädt zur Betrachtung ein, fordert zu Kontroversen heraus. »Allen recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann«, sagt der Volksmund. In Wahrheit ist es noch schlimmer: Es allen recht tun zu wollen wäre keine Kunst -denn Kunst ist kein Zierat für Plätze, kein Füller städtebaulicher Lücken, kein Pflanzenersatz auf Wiesen und kein Dekor für fade Fassaden; sie soll nie beliebig, angepaßt, hübsch sein, sie muß an- und aufregen, vorgefundene Situationen verändern, neue Sichtweisen beibringen. Wie gesagt: Sie ist manchmal schön, macht aber immer Ärger. Und das ist gut so.
Christian Ude
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München