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Hoffmann, Ulrich – Kunze, Matthias (Hg.): Franz Martin Kuen 1719–1771

Schon lange erwünscht ist eine umfangreiche, wissenschaftliche Arbeit über das Werk des vor allem im Allgäu tätigen Malers Franz Martin Kuen. Nachdem schon 1992 in Weißenhorn die Zeichnungen des Künstlers aus dem Museumsbestand gezeigt werden konnten, ist es insbesondere dem Engagement des Leiters des Weißenhorner Museums Dr. Matthias Kunze zu verdanken, nach einer Ausstellung 2019, einen wichtigen Beitrag mit dem Gesamtwerk des Künstlers Franz Martin Kuen dem interessierten Publikum vorzulegen. Dazu wurden von verschiedenen Autoren elf Beiträge erstellt und der Band mit Fotos des bisher bekannten Werks wunderbar bebildert.

Nach einer Einführung stellt Matthias Kunze in einem fast 90 Seiten umfassenden Querschnitt die Tätigkeit von Kuen dar, beginnend mit seiner Geburt in Weißenhorn und der Ausbildung im elterlichen Haus bei seinem Vater Johann Jacob Kuen, wohl in den Jahren 1733 bis 1735. Seine künstlerische Ausbildung setzte der junge Maler danach in Augsburg, der „Bilderfabrik Europas“, fort. Der Einfluss des damals dort tätigen Johann Georg Bergmüller auf sein Werk kann anschaulich gezeigt werden. Bergmüller war ab 1730 Lehrer und Vorsteher der Augsburger Akademie. Ob Kuen die Akademie besucht hat, ist aufgrund der vorhandenen Quellen nicht zu klären, aber stilistisch zu vermuten. Dort wurde das Zeichnen nach grafischen Vorlagen (Zeichnungen und Druckgrafiken) geübt. Dies ist ein Element, das Kuens künstlerisches Schaffen auch in der Zukunft prägte. Denn er kopierte in Augsburg nach Entwurfszeichnungen und ausgeführten Bildkompositionen Bergmüllers und anderer Künstler seines Ateliers. Der Zugang zu Bergmüller, ob in der Werkstatt oder nicht, ist nicht eindeutig archivalisch zu belegen. Künstlerisch sind diese Bezüge jedoch leicht zu finden. Josef Strasser, der diese Fragestellung im nächsten Kapitel untersucht, findet den Vermittler in Johann Georg Wolcker, einem Meisterschüler Bergmüllers. Die Übernahme von Figurenkompositionen Wolckers und Bergmüllers in den späteren Fresken Kuens in der Ulmer Stiftskirche St. Michael in den Wengen kann auch mit der Ausbildung der Gesellen zusammenhängen, bei der Kompositionsvorlagen, Teilentwürfe und Figurenstudien kopiert wurden und in das gestalterische Vermögen des Geschulten übergingen. Wolckers Arbeiten sind so durch seine Lehrer geprägt, dass man viele seiner Arbeiten seinem Lehrer zuschrieb. Die Übernahme von Wolcker/Bergmüller-Bildkompositionen im Frühwerk von Kuen legt eine Mitarbeit in der Werkstatt von beiden nahe.

Die Weiterbildung in Augsburg führte 1744 nach der Rückkehr Kuens nach Weißenhorn zu einem ersten Großauftrag durch seinen Onkel P. Joseph Braumiller für die Ausmalung der genannten Augustiner-Chorherrenkirche in den Wengen. Leider sind die dortigen Fresken 1944 zerstört worden und nur durch alte, nicht farbechte Diaaufnahmen dokumentiert. Eine bessere Vorstellung von Kuens künstlerischen Fähigkeiten gewinnt man von der im gleichen Jahr begonnenen Ausmalung im Bibliothekssaal des Klosters Wiblingen mit der Darstellung des „Triumph der Divinia Sapientia“. Diese raumerweiternd auf die Ovalkuppel gemalte Szenerie zeigt in der Mitte die Darstellung der Göttlichen Weisheit und am Rand auf dem Boden verankert die Tätigkeiten des Benediktinerordens und des Weltgeschehens vom Beginn der Zeiten mit dem Sündenfall.

Nach der Vollendung des Freskos brach Kuen 1744 nach Italien auf. Schriftliche Information dazu haben wir aus einem Brief seines Bruders P. Michael Kuen O. Praem., der ihn 1748 für die Ausmalung der Kirche in Matzenhofen empfahl, weil er „in Venedig und Rom sich in der Mahler Kunst also perfectioniert“ habe. Kunze zeigt in seinem Beitrag mit zahlreichen kleinen Abbildungen italienische Vergleichsobjekte auf, deren Kenntnis durch Kuens Zeichnungen im Weißenhorner Museum untermauert werden. Nach Studienaufenthalten in Rom und in Venedig – wahrscheinlich in der Werkstatt Giovanni Battista Tiepolos – kehrte Kuen spätestens im Herbst 1747 in seine Heimat zurück. Nach Heirat und Hauserwerb in Weißenhorn waren die Bedingungen für eine Meisterwerkstatt erfüllt, die er in der Folge durch persönliche und verwandtschaftliche Kontakte ausbaute und ihn zu einem der meistbeschäftigten Maler in Schwaben machte. Durch Empfehlungen seines im Kloster tätigen Bruders P. Michael Kuen O. Praem. kam es, dass ihn der Abt des Prämonstratenser-Reichsklosters Roggenburg P. Georg Lienhardt das neuerbaute Konventgebäude und die Kirche mit Fresken, Altarbildern, Portraits und dekorativen Malereien ausstatten ließ. Die Kontakte Kuens zum Prämonstratenserorden würdigt Ulrich Hoffman mit der Benennung der dem Orden unterstellten Kirchen und der von Kuen dort ausgeführten Werke.

Mit der Methode der Inszenierung der sakralen Deckenfresken durch Kuen beschäftigt sich Angelika Dreyer. Ausgehend von der Verwurzelung in der Augsburger Kunsttheorie und Bilderwelt in Bezug auf das Bibliotheksfresko in Wiblingen analysiert sie den narrativen Aufbau seiner Bilderzählungen, in dem Belehren, Erfreuen und Bewegen wichtige Schlagworte sind. Diesen dramatisierenden Kontrast zwischen göttlichem Stil und niedrigen, gemeinen, irdischen Themen untersucht sie an den Freskenausstattungen Kuens in Eresing 1756 und Erbach 1768. Auch die gerne als „theatrum sacrum“ bezeichnete Bildstrategie zeigt sie in der thematischen Gestaltung von Illertissen und Scheppach. Zuletzt ist die für die Bilderzählung wichtige Steilperspektive Tiepolos als Vorbild für Kuen wichtig. Zugunsten besserer Lesbarkeit flacht er sie für den Betrachter ab und gleicht so Figuren- und Architekturverständlichkeit einander an.

Die für einen Künstler der Zeit wichtige Perfektionierung durch Ausbildung in Italien untersucht Andrea Gottdang. Aussagekräftig ist die Feststellung: „Er brachte ein Stück Venedig nach Schwaben.“ Dabei untersucht sie die Fresken Kuens in den Kirchen in Matzenhofen und Niedernhausen auf ihre italienischen Vorbilder. Bei kluger Kompilation benutzt Kuen die Bildkompositionen unter anderem Giovanni Battista Tiepolos und weiterer Künstler für andere Themenstellungen. Auch die Bezüge zu anderen Freskanten wie Sebastiano Conca zeigt Andrea Gottdang auf.

In eine ganz andere malerische Welt führt der Beitrag über Kuens Schaffen als Portraitmaler von Yvonne Schülke. Die bislang bekannten Leinwandgemälde sind nicht zahlreich. Außer zwei Bildnissen des Ehepaars von Kreith sind es vor allem Darstellungen von Geistlichen. Ein Teil des Aufsatzes widmet sie auch den Selbstdarstellungen des Künstlers in den Fresken.

Einen wichtigen Beitrag zum Band steuert auch ein Mitglied des Roggenburger Konvents P. Rainer Rommens O.Praem. über die wandfesten Malereien in den Gängen und Zimmern des Klosters Roggenburg bei. Diese Räumlichkeiten sind großteils wegen der dort bestehenden Klausur nicht öffentlich zugänglich, weshalb es umso erfreulicher ist, sie zumindest in Abbildungen betrachten zu können. Einschränkend ist allerdings zu erwähnen, dass sich einige Arbeiten Kuens noch unter dicken Farbschichten befinden und erst freigelegt werden müssen. Hier lässt sich sicherlich noch die eine oder andere Entdeckung erwarten. Die Deckenfresken des Sommerrefektoriums und des Kapitelsaales sowie zahlreiche Türumrahmungen und Supraporten konnten dagegen abgebildet werden, ergänzt um Hinweise zu der nicht einfachen Thematik und ihrer Vorlagen in der Druckgrafik.

Es folgt ein Beitrag zum technischen Aufbau und zur Maltechnik des Künstlers sowie zu dessen Schülern. Vervollständigt wird die Publikation durch das sich über 100 Seiten erstreckende, schön bebilderte Verzeichnis der Fresken und Gemälde, das sehr gut das kreative Wirken Franz Martin Kuens in den 52 Jahren seines Lebens illustriert. Der Band ist Anlass, das Wirken des Künstlers vor Ort zu entdecken.

 Christoph Nicht

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Diese Buchbesprechung hat uns die „Zeitschrift „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.

Hoffmann, Ulrich – Kunze, Matthias (Hg.): Franz Martin Kuen 1719–1771