In seinem preisgekrönten Werk geht Klaus Reichold den globalen Einflüssen auf die Bayern nach – eine etwas andere Mentalitätsgeschichte.
Mia san mia! Drei Worte, mit denen man landläufig die bayerische Lebensart auf den Punkt bringt. Was jedoch steckt wirklich dahinter? Klaus Reichold lüftet in seinem Buch »Warum Bayern ein orientalisches Land ist und andere weiß-blaue Wahrheiten« das Geheimnis. Der Spruch hat erst einmal überhaupt nichts mit dem Bayernvolk und schon gar nichts mit dem FC Bayern München zu tun. Sondern er taucht »zum ersten Mal Ende des 19. Jahrhunderts in Wien auf und diente dort lediglich der Selbstvergewisserung des k.u.k. Infanterieregiments Hoch- und Deutschmeister Nr. 4«, so der Kulturhistoriker.
Reicholds Buch verblüfft ein ums andere Mal mit Fakten, Hintergründen und Zusammenhängen. Weitere Beispiele wären etwa, dass die Mark Brandenburg von 1323 bis 1373 zum bayerischen Machtbereich zählte. Oder der Wiener Stephansdom: Weil Wien bis 1469 zum Bistum Passau gehörte, bekam er seinen Namen vom dortigen Dom St. Stephan. Dieser wiederum, das nebenbei, besitzt mit vier Glockenspielen, 233 Registern und fast 18.000 Pfeifen die größte Kirchenorgel der Welt. Freilich, nicht alles Geschilderte ist wirklich neu. So wurde die Geschichte von der zufälligen Erfindung der Weißwurst schon öfter erzählt. Das schmälert jedoch nicht den Genuss an dem mit Süffisanz und einer gehörigen Portion Selbstironie zumeist locker plaudernden Buch, das in der Edition Luftschiffer erschienen ist und eher zum Herumstöbern einlädt als zu strenger Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite. Wenn nötig, kann Reichold aber auch Klartext reden. Etwa, wenn es um den Judenhass Ludwig Thomas geht.
Der Titel erhielt im vergangenen Jahr zusammen mit neun weiteren Werken die erstmals vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst verliehene Auszeichnung »Bayerns Beste Independent Bücher«. Damit soll die wertvolle Arbeit der unabhängigen bayerischen Verlage in allen Bereichen – vom Kinder- und Jugendbuch über Belletristik, Lyrik bis zum Sachbuch – gewürdigt und somit sichtbarer werden. Bei »Warum Bayern ein orientalisches Land ist« hieß es zur Begründung: »(…) anarchisch und subversiv zeigt sich bayerisches Brauchtum im Weltzusammenhang.« Überschriften wie »Warum Franken und Schwaben keine Lederhosen tragen dürfen«, »Warum die Oberpfalz an Sibirien erinnert« und »Warum syrische Bogenschützen das römische Bayern bewachten« wecken die Neugier.
Reichold ist ein versierter Kenner der bayerischen Geschichte und insbesondere des bewegten Lebens Ludwigs II., über den er gemeinsam mit Thomas Endl ein biografisches Standardwerk geschrieben hat. So wundert es nicht, dass Ludwig II. durch viele Kapitel geistert, allen voran natürlich im titelgebenden »Warum Bayern ein orientalisches Land ist« Erwähnung findet. Schließlich liebte der Märchenkönig den Orient besonders und huldigte ihm in seinen Architekturvisionen vom Marokkanischen Haus bis zum Königshaus am Schachen.
Zuletzt liefert das mit Zitaten gespickte Buch eine Charakterologie des Bayern, von dem niemand so recht weiß, woher genau er stammt. »Liaba zvui essn als zwenig dringa« ist so ein Zitat, das Reichold schlussfolgern lässt: »Damit ist das bayerische Wesen, das die Opulenz liebt und die Askese fürchtet, eigentlich schon hinlänglich beschrieben.«
Diese Rezension hat uns freundlicherweise das Münchner Feuilleton zur Verfügung gestellt.