Herausgeber | Kraus Wolfgang, Dittscheid Hans-Christoph, Schneider-Ludorff Gury |
Verlag | Kunstverlag Josef Fink |
Reihe | Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern |
Seiten | 1784 |
Regierungsbezirk | Unterfranken |
Suchbegriff | Synagogen |
ISBN | EAN | 3898704505 | 9783898704502 |
Bibliotheksbestand | BV047273002 |
Erschienen | April 2021 |
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Mit der Zerstörung der Synagogen in Deutschland in den Novemberpogromen 1938 ging eine jahrhundertealte Tradition jüdischen Lebens in unserem Land fast völlig zugrunde. Um die Erinnerung an die Bauten und ihre Gemeinden zu bewahren, werden – auf Anregung des Synagogue Memorial Institute Jerusalem – bundesweit Synagogen-Gedenkbände erstellt. Den jüdischen Gemeinden in Bayern und ihren Gotteshäusern wird mit dem Synagogen-Gedenkband Bayern, dessen Abschluss der vorliegende Teilband bildet, in Text und Bild ein Denkmal gesetzt: Das Werk dokumentiert umfassend die jüdische Geschichte aller Orte, in denen es um 1930 auf dem Gebiet des heutigen Bayern Synagogen und Beträume gab. Den Kern des dreibändigen Werks mit über 4.000 Druckseiten bilden mehr als 200 Ortsartikel, in denen die Entwicklung der jeweiligen jüdischen Gemeinden im Zusammenhang mit dem Bau ihrer Synagogen dargestellt wird. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger, Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger; mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries.
Teilband III/2.1
Teilband III/2.2
Ein fast 20 Jahre dauerndes Forschungsvorhaben, das auf Anregung des in Nürnberg geborenen Prof. Meier Schwarz vom „Synagogue Memorial Institute“ in Jerusalem als bundesweites Synagogenprojekt zur Erinnerung an die jüdischen Gemeinden und ihre Gotteshäuser initiiert wurde, konnte zu einem Abschluss gebracht werden, rechtzeitig zum geschichtsträchtigen Festjahr 2021 „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.
Der „Synagogen-Gedenkband Bayern“ umfasst mehr als 4000 Seiten, aufgeteilt in drei Bände. Im Band I werden die Regierungsbezirke Schwaben, Oberfranken, Oberpfalz, Oberbayern, Niederbayern und Schwaben (560 S., 2007), im Band II Mittelfranken (812 S., 2010) und im Band III Unterfranken bearbeitet. Aufgrund der Dichte der jüdischen Gemeinden und des umfangreichen Quellenmaterials ist Band III in zwei Teilbände untergliedert, in das westliche Unterfranken Band III/1 (880 S., 2015) und das östliche Unterfranken mit zwei weiteren Halbbänden (1784 S., 2021): Band III/2.1 mit den Landkreisen Bad Kissingen, Haßberge und Rhön-Grabfeld sowie Band III/2.2 mit der Stadt Schweinfurt und den Landkreisen Schweinfurt und Kitzingen.
Mit dieser Aufteilung wird dem historischen Sachverhalt Rechnung getragen, dass sich im ehemals in Kleinterritorien aufgesplitterten Unterfranken mit seinen äußerst differenzierten Herrschaftsverhältnissen zahlreiche jüdische Gemeinden bilden konnten. So waren allein 115 der etwa 220 jüdischen Gemeinden in ganz Bayern im heutigen Regierungsbezirk Unterfranken beheimatet. In den beiden letzten jetzt erschienenen Halbbänden werden 65 Orte, teilweise mit Filialorten, im östlichen Unterfranken erfasst.
Ziel des Synagogen-Gedenkbandes ist es, an die jahrhundertealte Tradition jüdischen Lebens, das durch die Shoah fast vollständig vernichtet wurde, sowie an die Zerstörung der Synagogen in der Reichspogromnacht zu erinnern. So dokumentiert dieses Projekt umfassend die Geschichte und Geschichten der Orte, die im Jahr 1930 Synagogen oder Beträume besaßen und in denen Gottesdienste gefeiert wurden. Forschungsgegenstand sind neben den Synagogen auch jüdische Einrichtungen wie Schulen, Ritualbäder und Friedhöfe. Jedem Band ist eine informative übergreifende Abhandlung über ein spezifisches Thema vorangestellt wie die „jüdische Geschichte Bayerns“, die „Architektur der Synagogen in Bayern“, das Verhältnis von „jüdischer Liturgie und Synagoge“. In den beiden zuletzt erschienenen Teilbänden wird zudem das Thema der „Kultur des Landjudentums in Unterfranken“ von Rotraud Ries sowie das Phänomen der „Würzburger Neoorthodoxie“ von Andreas Angerstorfer bearbeitet.
Das Hauptgewicht bilden die Ortsartikel, die als in sich geschlossene Beiträge innerhalb eines Landkreises in alphabetischer Reihenfolge der Orte konzipiert sind. Alle sind chronologisch aufgebaut und erfassen je nach Quellenlage bis zu mehr als tausend Jahre wechselvoller Geschichte der jeweiligen jüdischen Gemeinden. Zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen ergänzen den Text und machen das Blättern für den Leser auch visuell zu einer informativen und spannenden Begegnung mit der Geschichte der christlich-jüdischen Vergangenheit, einer Vergangenheit, die von sehr viel Leid auf jüdischer Seite geprägt war. Alle Farbaufnahmen sind in einem Block in Band III/2.2 zusammengefasst. Die publizierten Zeitdokumente weisen eine große Vielfalt auf. Sie umfassen Baupläne von Synagogen, Ortskarten, Fotos von existierenden oder untergegangenen jüdischen Bauwerken, von Friedhöfen, Grabsteinen, Mikwaot, Synagogeninventare, Kultgegenstände wie Thorahauben oder -mäntelchen sowie Archivalien. Es sind Dokumente, materielle und immaterielle Zeichen, in denen sich das jüdische Leben manifestierte. Zahlreiche Fotografien von einzelnen Personen oder Gruppen geben der Vergangenheit ein individuelles Gesicht.
Der Umfang der Ortsartikel ist meist von der Größe und Bedeutung der jeweiligen Gemeinden und ihrer Synagogen sowie vom Forschungsstand und der Quellenlage bestimmt. Die chronologisch gegliederten Beiträge sind im Prinzip autonome Abhandlungen, die nicht nach einem festen Schema aufgebaut sind, die aber trotz der Unterschiedlichkeit der behandelten Orte ein gemeinsames Grundmuster erkennen lassen. Meist beginnen sie mit der Schilderung der ersten jüdischen Ansiedlung an einem Ort. Es werden die Verfolgungen, Pogrome und Ausweisungen, die gewaltsame Vertreibung und Wiederansiedelung, d. h. die Kontinuität der Präsenz jüdischer Menschen in einer Gemeinde oder Stadt, genau untersucht. In allen Epochen wird das Leid durch religiösen Fanatismus, soziale Missgunst und wirtschaftlichen Neid des christlichen Umfeldes deutlich.
In der neueren Zeit wird sichtbar, welche Auswirkungen auf die jüdischen Gemeinden und das Erscheinungsbild ihrer Synagogen die Regelungen des Judenedikts von 1813 hatten, welche die Aufhebung des Matrikelparagraphen 1861 und die rechtliche Gleichstellung der Religionsgemeinschaften im Rahmen der Reichsgründung von 1871 bewirkten: Wirtschaftlicher Aufschwung, Emanzipation, dann Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg, sich zunehmend stärker entwickelnder Antisemitismus, schließlich Verfolgung und Vernichtung unter der Herrschaft der Nationalsozialisten.
Es ist aber nicht eine übergreifende, zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Juden in Bayern, die diese Bände so lesenswert macht, sondern es sind vor allem die individuellen Geschichten einer Gemeinde, einer Familie, einer Einzelperson, eines Hauses, einer Synagoge, die in den Fokus der Betrachtungen gerückt werden. Aus diesem Mosaik erschließt sich dem Leser ein beeindruckendes historisches Gesamtbild, das den übergreifenden Titel des „Synagogen-Gedenkbandes“, nämlich „Mehr als Steine …“, rechtfertigt, einer Geschichte, die in Deportation, Vernichtung und Zerstörung endet, einer Geschichte, die auch die Nachkriegszeit, eine Zeit des Verdrängens und Verleugnens mit einschließt, die jedoch durch die Existenz dieses Werkes eine Stimme erhält.
War es die Absicht der Nationalsozialisten, von ideologischem Hass getrieben, Menschen jüdischen Glaubens und ihre Bauwerke nicht nur physisch zu zerstören, sondern auch die Erinnerungen an sie zu tilgen, gleich der römischen „damnatio memoriae“, so sind diese Synagogen-Gedenkbände selbst ein Monumentum, ein Denkmal im Sinne eines erweiterten Denkmalbegriffs für die Bewahrung der Erinnerung. Sie sind das Dokument einer sachlichen Spurensicherung für eine Zukunft, die nicht von der Erinnerung abgeschnitten sein darf.
In diesem Zusammenhang wird gefragt: Wie wird des jüdischen Erbes nach 1945 gedacht? Was geschah mit den Synagogen, die nach der Reichspogromnacht noch ganz oder teilweise erhalten waren, wie werden materialisierte Erinnerungen, Denkmäler aus Stein, behandelt, genutzt, umgebaut, abgerissen und warum einige erst in den 1990er Jahren unter Denkmalschutz gestellt? Das Problem ist auch heute virulent.
Die Gedenkbände sind das Ergebnis eines interdisziplinären wissenschaftlichen Forschungsprojekts, in dem Autorinnen und Autoren aus den Bereichen der Theologie, der Geschichte, der Kunst- und Architekturgeschichte sowie der Denkmalpflege unter einer gemeinsamen Zielsetzung zusammengearbeitet haben. Entsprechend breit präsentiert sich das Spektrum der verschiedenen Forschungsansätze in den einzelnen Beiträgen. So entstand ein hochinformatives Werk, das nicht nur die Fachwelt anspricht und die Basis für weitere Forschungen bildet. Das Werk verdient eine große Leserschaft, die sich für die jüdisch-christliche Vergangenheit Bayerns interessiert und ohne Vorurteile in die Zukunft schauen will.
Die zwei Bände stellen ein auf akribischer Recherche beruhendes Handbuch dar, ein unverzichtbares Nachschlagewerk mit umfangreichem Glossar, Personen- und Ortsregister, das in jeder Ortsbibliothek und in jeder Schulbibliothek stehen sollte. Gerade für die Zeit des 20. Jahrhunderts enthält es die Informationen, die in der Nachkriegsgesellschaft nur sehr begrenzt an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wurden. Im Hinblick darauf ist das Werk, wie Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, bei der Vorstellung des abschließenden Teiles der Publikation im jüdischen Kulturzentrum Shalom Europa in Würzburg sagte, „der Schlussstein eines wertvollen Schatzes“, denn noch nie habe es einen so detaillierten, historisch fundierten Überblick über die jüdischen Gemeinden in Bayern gegeben.
Diese Buchbesprechung hat uns die „Zeitschrift „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.