Autor | Bößl Hans |
Verlag | Verlag des Historischen Vereins von Oberbayern |
Reihe | Oberbayerisches Archiv (Nr. 88) |
Seiten | 135 |
Regierungsbezirk | Oberbayern |
Suchbegriff | Seidl Gabriel von, Architektur |
Buchart | Broschüre |
ISBN | B001TKTTJS |
Erschienen | 1966 |
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Vorwort
G. v. Seidls Schaffen vollzieht sich zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Was hat uns heute noch das Werk eines Architekten des Historismus zu sagen? Die Frage klingt vielleicht überraschend, aber sie drängt sich auf, sie wird uns nahegelegt durch tiefgreifende Wandlungen, die unser Verhältnis zu dieser Architektur erschütterten. Zwar darf ein volkstümlicher Vortrag über einen Meister jener Zeit auf einen sicheren Publikumserfolg zählen, doch ist das kaum ein Gradmesser für die innere Aktualität der Sache selber. Denn gerade die künstlerischen Leistungen der modernen Architektur, der wichtigsten Weggefährtin, befinden sich dem Historismus gegenüber weitgehend in einer unüberbrückbaren feindlichen Spannung, welche die Grenzen der Polemik, ja der Verachtung streifen kann. Zerrissenheit, Zwiespältigkeit, Verlust einer einheitlichen Kultur, häufiges Protzentum mit blendendem Schein und daß seine Baumeister Altes nachgeahmt, als Epigonen rückwärts geblickt haben - das sind einige der Vorwürfe und Anwürfe, die dieser Epoche gerne gemacht werden. Mit Recht, aber ist nicht vieles heute noch so aktuell wie damals? Die Gründe zu dieser Zwiespältigkeit, zu diesem ewigen unsicheren Suchen und Tasten liegen tief. Vor ihnen mag so mancher Vorwurf verstummen.
Zugegeben, von den meisten Bauten des 19. Jahrhunderts, zumal jenen, die in der zweiten Hälfte entstanden sind, wenden wir uns heute ab. Wir denken an die Neuviertel unserer Großstädte, Travestien sowohl des Künstlerischen als auch des Sozialen. An die Zeugen unverhüllter Großmannssucht, wie sie in Repräsentationsbauten des Staates und des Kapitals zum Ausdruck kam. Aber der gewiß überwiegenden Zahl von Architekten, deren Werk die Untersuchung nicht lohnt, steht eine kleine Schar gegenüber, die auch in einer bedeutenden Zeit der Baukunst Rang und Namen erworben hätte. Einer davon war G. v. Seidl, der fast zwei Jahrzehnte - von 1890 bis etwa 1910 - das Vorbild für viele in Deutschland gewesen war. Groß gemacht hat ihn nicht seine Liebe zur Geschichte, in der er wurzelte, der er aber frei gegenüberstand, groß gemacht hat ihn allein seine bedeutende Kompositionsgabe, hat ihn seine Forderung, daß Baustil ein Ganzes, Einheit, Leben sein müsse, daß er alle anderen Künste einbegreifen müsse. Dadurch wuchs er heraus aus seiner lokalen Münchener Bedeutung und gewann Geltung für ganz Deutschland. Das ist Grund genug, sich mit seinem Werk zu beschäftigen.