Fischer-Pache, Wiltrud u. a. (Hg.): Weimarer Republik Nürnberg 1918 1933. Begleitband zur Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg. – Nürnberg (Verlag Ph. C. W. Schmidt) 2021. 2 Bde. m. zus. 2076 S. u. zahlr. farb. Abb. – (Ausstellungskataloge des Stadtarchivs, 28/1 u. 28/2).
Mit Äußerlichkeiten anzufangen, verböte sich angesichts der Wucht, die diese beiden Bücher beim bloßen Durchblättern entfalten und die sich bei der Lektüre verstärkt. Aber was soll man sagen, diese Äußerlichkeiten sind nun mal erschlagend. Zwei Bände, durchpaginiert, am Ende steht die Seitenzahl 2076. Zusammen wiegen sie mit 6,83 Kilogramm mehr als zwei handelsübliche Ziegelsteine vergleichbaren Volumens.
Eine Stadt, 15 Jahre, 2076 Seiten – ist das nicht ein wenig übertrieben? Nicht, wenn die Stadt Nürnberg heißt und die Bücher von der Weimarer Republik handeln. Das Nürnberger Stadtarchiv hat die Werke als Begleitbände seiner Ausstellung „Weimarer Republik Nürnberg 1918 1933“ herausgegeben. Und ohne die Ausstellung gesehen zu haben, fragt man sich angesichts der Opulenz dieser Bücher: Da wurde doch wohl eher die Ausstellung zu den Büchern konzipiert und nicht umgekehrt, oder?
Schon die Zeitleiste am Anfang umfasst knapp 130 Seiten. Nutzerfreundlich präsentieren diese faktengeschichtlichen Präliminarien lokale, bayerische sowie nationale und internationale Ereignisse mit unterschiedlichen Farben. Auch beim Blick in den Aufsatzteil kann man nur staunen. Es bräuchte viel Fantasie, um auf ein Thema zu kommen, das die drei Herausgeberinnen und zwei Herausgeber übersehen haben könnten. Von der Körperkultur und der Verwaltung über die Medien und die bauliche Stadtentwicklung zu Polizei und Militär, von der Literatur und Schulbildung über die Politik und das Frauenwahlrecht zu Religion, Wirtschaft und Wohlfahrt. Auch der Club fehlt natürlich nicht, der 1. FC Nürnberg, der in diesen Jahren unter anderem mit der Torwartlegende Heiner Stuhlfauth seine beste Zeit erlebte und fünf Mal Deutscher Fußball-Meister wurde. Allerdings wurde beim Club nicht nur gekickt, es gab Boxer und eine Skiabteilung. Die Club-Leichtathletin Maria Dollinger war als Läuferin international erfolgreich, in Florenz zum Beispiel siegte sie 1931 bei der „Olympiade der Grazien“. Auch andere Kapitel überraschen, eine Abhandlung über die rege Nürnberger Flugsportszene zum Beispiel.
Nürnberg war auch die Stadt des Julius Streicher, der hier mit dem Leitsatz „Die Juden sind unser Unglück“ die „schändlichste Zeitung der Geschichte“ herausgab, den Stürmer. Der Antisemitismus wucherte darin in seiner vulgärsten Form. Walter Gebhardt, Bibliothekar im Stadtarchiv, analysiert die Geschichte der Nürnberger Presse in allen Ausformungen. „War der Niedergang der Weimarer Republik ein mediengeschichtliches Menetekel?“, fragt er. Aus der Nürnberger Warte pflichte er bei. Sein Fazit, das mit Blick auf die heutige Social-Media-Landschaft zu denken gibt: „Presserechtliche Instrumente versagen fast zwangsläufig bei einer in ihrer Masse und Diversität nie erlebten Medienlandschaft.“ Gebhardt sieht eine „bemerkenswerte Parallele“ zu heute.
Bei einer Reihe von Beiträgen wie diesem muss man kein Nürnberger sein, um die beiden Bände mit Gewinn zu lesen. Sie sind nicht zuletzt für die Alltagsgeschichte der Weimarer Zeit von Belang und lassen erahnen, welche Quellen für eine noch tiefere Forschung bereitstehen. Was ihre Illustration angeht, kann man nur Bürgermeisterin Julia Lehner beipflichten, deren Grußwort als eine erste Rezension verstanden werden darf: Die üppige Bebilderung begleite und bereichere die Beiträge visuell und lockere sie spürbar auf.
Die Mehrzahl der Aufsätze stammt aus den Federn von aktiven und ehemaligen Archivarinnen und Archivaren. Es ist beileibe nicht die vordringlichste Aufgabe dieser Berufsgruppe, die behüteten Quellen selbst zu erforschen. Doch wenn sie mit hoher Motivation so aktiv wird wie in Nürnberg, entstehen hervorragende Erzeugnisse, Arbeiten, die dann wiederum der ganzen Kommune zur Ehre gereichen. Die Stadtoberhäupter von Nürnberg wissen, was sie an ihrer engagierten Geschichtsquellen-Verwaltung haben. Man darf sich auf die nächste Ausstellung freuen. Und noch mehr auf die Begleitbände.
Diese Buchbesprechung hat uns die „Zeitschrift „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.