Fritz Wagner, Studiendirektor a. D., legt auf 447 Seiten eine detailreiche Untersuchung zur Wallfahrt auf den Geiersberg in Deggendorf vor. Dazu hat er die vorhandenen Quellen umfassend ausgewertet, z. B. ein im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg neu entdecktes Mirakelbuch aus dem 17. Jahrhundert, alle vorhandenen bzw. belegbaren Votivtafeln wie auch die Geiersberger Kirchenrechnungen. Mit seiner Untersuchung möchte der Autor eine Lücke schließen, denn die Geiersberger Wallfahrt stand lange Zeit (auch forschungsmäßig) im „Schatten“ der früher in Deggendorf dominanten „Gnad“: eine Hostien-Wallfahrt zur Hl.-Grab-Kirche im Stadtzentrum, die 1992 wegen ihres antisemitischen Kontextes eingestellt wurde. Letzteres findet bei Fritz Wagner kaum Erwähnung, wäre aber für den Gesamtzusammenhang interessant gewesen.
In Teil I stellt der Autor einführend (barocke) Wallfahrten im Licht der Forschungsgeschichte dar. Sein Ziel ist weniger eine Chronologie als vielmehr die Konzentration auf „einige wichtigere Fragen“ und „Übersichten“. Diese behandelt Fritz Wagner in drei großen Kapiteln: „Geschichte“, „Brauchtum“ und „Finanzen“.
Das Kapitel „Geschichte“ (Teil II) gibt eine Einführung in die Eckdaten der Geiersberger Wallfahrt: Die Anfänge liegen im Dunklen, überliefert ist eine Wallfahrtslegende, die das Gnadenbild in einem alten Erlenbaum aufgestellt beschreibt, bald darauf sei die Kirche erbaut worden (Weihe 1486). Ein Votivbild von 1483 belegt die spätmittelalterliche Wallfahrt zur Geiersberger Pietà, einer hölzernen, farbig gefassten Figur, die der Autor auf die Zeit um 1400 datiert. Nach Einbrüchen der Reformationszeit nahm die Geiersberger Wallfahrt seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erneut Aufschwung; dies stand in Zusammenhang mit einem allgemeinen Aufblühen bayerischer Marienfrömmigkeit.
Die Geiersberger Pietà präsentierte man damals nicht nur in einem neuen Hochaltar, sondern auch inmitten einer vergoldeten Rose; sie erhielt zahlreiche Opfer und Votivgaben der Wallfahrer. Letztere kamen vorwiegend aus der Donaugegend und dem Vorderen Bayerischen Wald. Die Deggendorfer Stadtprediger bzw. die in den 1620er Jahren angesiedelten Kapuziner (bis 1802) betreuten die Filialkirche auf dem Geiersberg seelsorgerisch; der Autor rekonstruiert die Liste der Pfarrer. Manche von ihnen hinterließen deutliche Spuren, so etwa Pfarrer Leonhard Brindl, der im 17. Jahrhundert für die Wiederbelebung der Geiersberger Wallfahrt gesorgt hat. Oder der aufklärerische Pfarrer Johann Heinrich von Golling (ab 1785 im Amt), der antisemitische Tendenzen der Wallfahrt „zur Gnad“ bekämpfte und der auch der Geiersberger Wallfahrt bzw. der Verehrung von Bildnissen kritisch gegenüberstand – dies allerdings mit der Folge von Amtsverlust und Exil. Und schließlich Pfarrer Dr. Joseph Conrad Pfahler, auf dessen Initiative die Geiersberger Kirche in den 1880er Jahren regotisiert wurde. Schließlich analysiert der Autor die Spenden und Votivgaben.
Im zweigeteilten Kapitel „Brauchtum“ (Teil III) geht es zunächst um das bislang unbekannte Mirakelbuch, das die Berichtszeit von 1632–1659 umfasst und 118 Berichte beinhaltet. Das Heft ist handgeschrieben, wurde wohl auf Initiative des Pfarrers Brindl hin verfasst. Es sollte, so der Autor, dem Bischof zur Genehmigung vorgelegt werden, möglicherweise für den Druck in einem Gebetbuch von 1659 (was aber nicht erfolgt ist). Fritz Wagner kann nachweisen, dass die Votivtafeln die Hauptquelle für die Verfassung der Mirakeleinträge gewesen sind, denn in vielen Fällen gleichen sich die Texte bzw. Inhalte. Äußerst detailreich wertet der Autor den Inhalt der Mirakel aus: Er nennt die Liste der „Wunderbaren Begebenheiten“, verfasst ein Namensregister der Votanten und Zeugen sowie einzelne ausgewählte „biografische Skizzen“ zu jenen.
Die Votivbilder erfasst der Autor mit derselben Akribie: Er eruiert insgesamt 238 Tafeln, von denen 92 erhalten und 146 verloren sind. Fritz Wagner verbindet mit seinen Forschungen auch einen praktischen Wunsch: Er möchte die Votivtafeln nicht nur mehr wertgeschätzt sehen, sondern auch die in Museen befindlichen Votivtafeln in Form von Fotografien wieder in die Geiersberger Kirche zurückführen. Neben einer umfassenden Auswertung der dargestellten „Themen und Motive“ und der Maltechniken, gelingt es dem Autor, Votivtafeln einzelnen bürgerlichen Deggendorfer Malern zuzuordnen. Schließlich findet man im Anhang eine Inventarliste aller bekannten Geiersberger Votivbilder (1483– 2009), leider ohne ihnen konkret zugeordnete kleine Abbildungen.
In Teil IV – „Finanzen“ – werden anhand von Kirchenrechnungen die finanziellen Verhältnisse der Geiersberger Kirche aufgezeigt, eine spannende Auswertung serieller Zahlenreihen von 1646 bis 1925. Es wird dargestellt, dass in Geiersberg zwar „bescheidene“, aber stabile finanzielle Verhältnisse herrschten: dass die Einnahmen (Spenden, Stiftungen und Votivgaben der Wallfahrer) die Ausgaben überwogen, dass die Kirche schuldenfrei war, keine Zahlungsausfälle nötig hatte und in der Lage war, gewissermaßen als Vorläufer einer Bank, Kredite zu geben. An andere Kirchen wurden zinslose Darlehen etwa für Baumaßnahmen vergeben. Deggendorfer Bürger, der Adel, die Stadt Deggendorf bzw. die Regierung erhielten zu verzinsende Darlehen. Besonders der Adel, die Kommune bzw. die Regierung zahlten häufig die Ausstände samt Zinsen nicht zurück. Der Autor stellt dies in den Kontext der Schuldenpolitik des frühneuzeitlichen Staates – häufig mussten Abgaben zwangsweise abgeliefert werden; die Kontrollbehörde (das Rentamt Straubing) wirkte zugunsten des Staates und nicht der Kirchen. Im 18. Jahrhundert wurden Ausstände staatlicherseits annulliert, Zinsen gesenkt oder gestundet – zum Schaden der Kirche. Der Autor beschreibt das staatliche Finanzgebaren als „Wertabschöpfungsmodell“ und „Ausbeutung“ der Kirche lange vor der Säkularisation, welche er als „Kulturschande ohne Beispiel“ bewertet. Auf der anderen Seite betont der Autor die sozial stabilisierende Kraft der kirchlichen Gelder beispielsweise in Kriegszeiten oder im Fall einer „Vergantung“ (Zwangsenteignung). Auf jeden Fall waren auch die Finanzen der „bescheidenen“ Geiersberger Kirche wirksam und trugen zu einer gesellschaftlichen Stabilisierung bzw. zum Machterhalt der führenden Schichten bei.
Insgesamt bringt die Publikation sehr viele Daten und Fakten zu minutiös ausgewerteten Quellen, ergänzt und aufgeschlossen durch Tabellen und ein umfangreiches Personen- und Ortsregister im opulenten Anhang (72 Seiten). Dieses verdienstvolle, nicht immer leicht zu lesende, aber regional bedeutsame Quellenbuch beleuchtet eine bislang kaum erforschte Kirche und Wallfahrt im Kontext ihrer Blütezeit des 17. und 18. Jahrhunderts.
Diese Buchbesprechung hat uns die „Zeitschrift „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.