22.06.2022 | Michael Ritter
Wer in diesen unseligen Corona-Zeiten daheimsitzt und Gefahr läuft, dass ihm die Zeit lang wird, dem sei der Fotoband „Zeitlang“ mit Bildern von Sebastian Beck und Texten von Hans Kratzer ans Herz gelegt. Die beiden Journalisten der Süddeutschen Zeitung versammeln darin Eindrücke von ihren Recherche-Reisen durch Bayern, durch „ein ebenso zauberhaftes wie hässliches Land“, wie es im Vorwort heißt. Schon der wunderbare Titel „Zeitlang“ lässt die Grundstimmung des Buches erahnen, beinhaltet dieser Dialektbegriff aus dem Bairischen doch eine tiefe Sehnsucht, etwa nach einer geliebten Person oder nach einer vertrauten Umgebung. Es ist damit, so die treffende Umschreibung von Hans Kratzer, „ein Gefühl, das den Kern der menschlichen Existenz betrifft“.
Das Buch erliegt in seiner Motivauswahl glücklicherweise nicht der Versuchung, das Land nur aus einseitiger Perspektive darzustellen. Wie leicht wäre es gewesen, Hochglanzfotos von den ach so schönen, wenngleich schon tausendfach abgebildeten Natur- und Kulturschätzen Bayerns zur Schau zu stellen, oder sich andererseits damit zu begnügen, die Verunstaltung unserer Städte und Dörfer sowie die Ausbeutung unserer Landschaften in einer bloßen Aneinanderreihung von Schreckensbildern anzuprangern. Sebastian Beck zeigt stattdessen Bilder des Alltäglichen, die uns umso stärker berühren und ins Bewusstsein rücken, als wir sie vielfach aus unserer eigenen Lebenswelt kennen, meist aber kaum beachten. Es sind gleichermaßen Bilder von der Achtsamkeit und der Rücksichtslosigkeit im Umgang mit unserer Heimat, Bilder von ihrer unaufdringlichen Schönheit und ihrer ungeschminkten Realität, ihrer Beständigkeit und ihrem Wandel. Und es sind Bilder von Menschen: Menschen mit Persönlichkeit und Präsenz, Menschen, die sich trauen, so abgebildet zu werden, wie sie sind, ohne Familienalbumlächeln, ohne bildnerische Schmeicheleien durch den Fotografen. Allen Abbildungen des Bandes ist gemein, dass es Aufnahmen voller Innigkeit sind, bei denen man die Achtung des Fotografen für seine Motive spürt.
Im Frühjahr 2021 zeigte das Literaturhaus München eine Auswahl dieser Bilder im Rahmen einer Sonderausstellung, ergänzt um eine Audiobegleitung mit Kommentaren und Geschichten der beiden Autoren sowie von Bayern-Kennern wie Claudia Pichler, Gerhard Polt oder den Well-Brüdern. Diese ebenso humorigen wie nachdenklichen Stimmen können die Leser über einen QR-Code nachhören – eine zusätzliche Bereicherung des Buches.
Auf jeder Seite des Fotobandes „Zeitlang“ spürt man, dass sich Sebastian Beck und Hans Kratzer ihrer Heimat Bayern verbunden fühlen, ja, mehr noch, dass sie in ihr verwurzelt sind. Sie stellen damit unter Beweis, dass man nicht nur von außen, sondern auch von innen heraus ein kluger, aufmerksamer Beobachter sein kann. Im Vorwort haben sie die Herangehensweise an ihr Buchprojekt in die treffenden Worte gefasst: „Man muss sich auf dieses eigenwillige Land und seine Menschen eben ein wenig einlassen, dann aber öffnet es sich seinen Betrachtern.“ Genau dies gilt auch für diesen Fotoband – wenngleich mit einem einzigen, aber entscheidenden Unterschied: Man „muss“ sich nicht darauf einlassen, man „darf“ es.
Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.
22.06.2022 | Michael Ritter
Es gibt wohl nur wenige Orte in Bayern, zu deren Bürgern ein vergleichbar kenntnisreicher Heimatforscher zählt, wie ihn die Marktgemeinde Altomünster (Lkr. Dachau) in Wilhelm Liebhart hat. Der langjährige Geschichtsprofessor an der Hochschule Augsburg beschäftigt sich schon seit den 1970er Jahren, also über mehr als 40 Jahre hinweg, mit der historischen Entwicklung seines Geburts- und Wohnortes, die er vom Mittelalter bis in die Gegenwart in all ihren Facetten untersucht und beschrieben hat, sei es die Herrschafts-, Kirchen-, Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- oder Kulturgeschichte. Allein in seinem neuesten Werk sind rund 40 Publikationen aus seiner Feder – von Aufsätzen in Fachzeitschriften bis hin zu umfangreichen Monographien – aufgeführt, die sich explizit mit Altomünster beschäftigen.
Bei diesem neuesten Werk handelt es sich um eine Gesamtdarstellung zu Geschichte und Gegenwart des Klosters Altomünster, dessen Anfänge mehr als 1250 Jahre zurückreichen. Liebhart nimmt seine Leser mit auf eine Reise durch die Zeit. Er beginnt mit der Vita des namengebenden Eremiten Alto im 8. Jahrhundert, umreißt die 500 Jahre, in denen das Kloster dem Benediktinerorden zugehörte (um 970 bis 1488) und geht anschließend ausführlich auf das Birgittenkloster ein, das hier von 1497 bis zu seiner Aufhebung 2017 – es war zu dieser Zeit längst die letzte Niederlassung dieses Ordens in Deutschland – bestand.
Das Buch schöpft sich aus der umfassenden Quellen- und Literaturkenntnis des Autors. Dennoch handelt es sich nicht um trockene Fachlektüre. Vielmehr lässt sich im gleichermaßen flüssigen wie konzentrierten Schreibstil der erfahrene Hochschullehrer erkennen, der es versteht, seinen Zuhörern respektive Lesern auch komplexe Zusammenhänge und fremde Welten – von den meisten heutigen Menschen dürfte monastisches Leben wohl als solches empfunden werden – anregend und leicht verständlich zu vermitteln.
Mit dem Auszug der letzten Schwester endete vor wenigen Jahren eine Tradition, die die Geschichte der Marktgemeinde Altomünster entscheidend geprägt hat. Dass diese Geschichte nicht in Vergessenheit geraten wird, ist nicht nur den weiterhin bestehenden Klosterbauten und dem darin untergebrachten Klostermuseum zu verdanken, sondern auch den Publikationen von Wilhelm Liebhart.
Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.
22.06.2022 | Michael Ritter
Heimatpflege hat die Aufgabe, kulturelle Überlieferungen zu bewahren und verantwortungsvoll weiterzuentwickeln. Auch der Bayerische Landesverein für Heimatpflege verfolgt diese Zielsetzung, wie sie etwa im Untertitel „erhalten und gestalten“ der „Schöneren Heimat“ zum Ausdruck kommt. Heimatpflege beschäftigt sich also maßgeblich mit gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen, die sich in zunehmendem Maße auf unsere alltägliche Lebenswelt auswirken. Doch wie macht man dergleichen Umbrüche bewusst? Ein probates Mittel, Transformationsprozesse sichtbar zu machen, sind Fotos aus vergangenen Zeiten, die – teils subtil, teils drastisch – vor Augen führen, wie sehr sich in nur wenigen Jahrzehnten die Lebens-, Arbeits- und Wohnweise der Menschen, aber auch die Siedlungen und Kulturlandschaften gewandelt haben.
Einen solchen Weg der bildlichen Veranschaulichung wählt auch das Buch „ausgesprochen bayerisch“, das begleitend zur gleichnamigen Sonderausstellung in den Räumen der Fachberatung Heimatpflege des Bezirks Oberbayern in Benediktbeuern erschien und Fotos aus den 1950er Jahren von Paul Ernst Rattelmüller zeigt.
Rattelmüllers Bilder werfen einen Blick auf „Lebensart, Handwerk und Bräuche in Oberbayern“, wie es im Untertitel der Publikation heißt. Die Fotos sind teilweise zwar nicht von bester technischer Qualität – teils sind sie etwas unscharf, blass, farbstichig oder schlecht ausgeleuchtet – doch vermitteln sie nicht zuletzt dadurch ein hohes Maß an Authentizität. Der Fotograf hat sich merklich auf die Funktion eines Beobachters und Dokumentaristen zurückgezogen, worin er sich beispielsweise wohltuend von der bekannten zeitgenössischen Fotografin Erika Groth-Schmachtenberger unterscheidet, deren Bilder oftmals zwar ausdrucksstärker und künst- lerisch ansprechender wirken, zugleich aber auch einen unverkennbar inszenatorischen Impetus aufweisen.
Die Anordnung der zahlreichen Fotos im vorliegenden Bildband erfolgte überraschenderweise nicht nach thematischen Kriterien, wie dies üblicherweise der Fall ist. Vielmehr ranken sie sich um 70 eigentümliche Dialektwörter aus dem Bairischen, die in alphabetischer Abfolge von „Aprui-Aff“ über „Hacklstecka“, „Progroda“ und „Schnaggler“ bis zu „Wanznpress“ reichen. Jeder dieser Begriffe ist mit kurzen Erläuterungen versehen, die den Büchern „Irxenschmoiz und Wedahex“ sowie „Ohrwuzler und Zeiserlwagen“ (erschienen 2014 und 2015) von Norbert Göttler, dem Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, entnommen sind. Göttler vermittelt dabei seine historisch-sprachwissenschaftlichen Hintergrundinformationen zu den jeweiligen Wörtern in einem angenehm zu lesenden erzählerischen, mit feinsinnigem Humor unterlegten Schreibstil. Texte und Bilder fügen sich damit zu einer reizvollen Einheit zusammen, obschon – oder gerade weil? – sie teils unterschiedlichen inhalt-lichen Kontexten entnommen sind. Der Bildband gewinnt dadurch jedenfalls eine zusätzliche Dimension hinsichtlich der Darstellung „versunkener Lebenswelten“ (Einleitung).
Paul Ernst Rattelmüller war von 1973 bis 1989 Bezirksheimatpfleger des Bezirks Oberbayern. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass seine Fotoschätze beim dortigen Fachreferat Heimatpflege verwahrt werden. Es ist erfreulich, dass sein Nachnachfolger Norbert Göttler einen Teil davon für das vorliegende Buch und die zugehörige Sonderausstellung zur Verfügung gestellt hat. Auffällig an der vorgestellten Bildauswahl ist allerdings die Tatsache, dass die Motive fast ausschließlich aus dem traditionellen ländlich-bäuerlichen Leben gegriffen sind. Zwangsläufig stellt sich daher die Frage, ob Rattelmüller mit seiner Kamera darüber hinaus auch die Veränderungen festgehalten hat, die schon in den 1950er Jahren unverkennbar waren, sei es hinsichtlich der Kleidungsweise der Menschen, der baulichen Entwicklung der Dörfer oder der autogerechten Umgestaltung der Städte. Diesbezüglich scheint die Fotosammlung von Rattelmüller noch so manches spannende und erschließenswerte Potenzial zu bieten, umso mehr als der streitbare Dokumentarist und Heimatpfleger bei allem Engagement für die Bewahrung der Traditionen ein entschiedener Kämpfer gegen das „Sepplbayerntum“ war. Wie sehr ihm dieses immer stärker um sich greifende Bayern-Klischee ein Graus war, brachte er 1996 in einem Fernsehinterview mit den galligen Worten zum Ausdruck: „Diese ewig jodelnden, gamsbartbewehrten, lederbehosten, wildernden, fensterlnden, raufenden Halb- und Volldeppen! Das Bild liefern unsere Landsleute selbst, der Fremde glaubt’s nur.“
Diese Buchbesprechung hat uns freundlicherweise vom Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.