Vorwort
„Es erben sich Gesetz' und Rechte Wie eine ew'ge Krankheit fort, ..."
spottet in der Schülerszene des „Faust" ein boshafter Mephistopheles und mit ihm wohl auch der Doktor beider Rechte Johann Wolfgang Goethe. So unbestritten diese in Versen kritisierte Schattenseite des Rechtes sein mag, nämlich dogmatische Verkrustung und Unzeitgemäßheit, so bedeutsam und unverzichtbar sind die positiven Funktionen von Recht und Gesetz: einer Gesellschaft als Ordnungsrahmen und Orientierungshilfe zu dienen, Schutz zu bieten und Frieden zu sichern, auch mit Disziplinierung und Strafe, und damit letztlich die konsensfähigen Werthierarchien eines Gemeinwesens zu erhalten.
Rechtssetzung und Rechtsprechung sind treue Begleiter auch in der bayerischen Geschichte. Von frühen Stammesrechten über die Stadt- und Territorialrechte und die Rezeption des Römischen Rechtes bis zur Ausformung des modernen Rechtsstaates spannt sich dabei der Bogen. Daß Gesetze auch grausam, daß Verfahren unmenschlich waren, daß das Recht nicht selten der gesellschaftlichen Entwicklung hinterherhinkte, ist dabei nicht zu übersehen. Aber gerade vor diesem Hintergrund wird der Fortschritt um so deutlicher, den der moderne Rechtsstaat mit der Humanisierung der Rechtspraxis und dem Postulat der Rechtssicherheit den Menschen brachte.
Das vorliegende Heft soll als hoffentlich hilfreicher Leitfaden den Leser durch das dichte Geflecht bayerischer Rechtsgeschichte führen, einer Geschichte, die stets auch in den Strom der deutschen und europäischen Rechtsentwicklung eingebettet war. Es gibt überdies interessante Einblicke in die sozialen Verhältnisse, rückt „Land und Leute" ins Blickfeld und wirft Schlaglichter auf das Alltagsleben auch der kleinen Leute. Dies gilt insbesondere für Rechtsprechung und Gerichtsverfahren im Straf- und Zivilrecht, auf die sich dieser Band weitgehend konzentriert. Staatsrechtliche Fragen, besonders der neueren Zeit, bleiben damit ebenso ausgeklammert wie die Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, die mit reichseinheitlichem Strafgesetz und Bürgerlichem Gesetzbuch von 1900 den Ländern keinen Spielraum zu eigenständiger Rechtssetzung mehr ließ. Daß gerade das 19. und 20. Jahrhundert dem Rechtspositivismus und der Ideologisierung des Rechts verfielen und damit staatlicher Willkür und der Pervertierung ethischer Grundsätze Tür und Tor öffnen, war keineswegs ein Zufall.
Thomas Dehler, liberaler Oberlandesgerichtspräsident aus Bamberg und erster Justizminister der Bundesrepublik Deutschland, hat darauf in einer Bundestagsrede im Jahr 1950 Bezug genommen. „Gerechtigkeit erhöht ein Volk", so zitierte er zunächst aus den Sprüchen Salomons, um dann fortzufahren:
„Die Gerechtigkeit allein muß die tragende Idee unseres demokratischen Staates sein, der Rechtsstaat das beherrschende Ordnungsprinzip und der Richter der Träger dieses Gedankens."
Diesem Anliegen zu dienen, in Rückblick und Vergleich den Blick zu schärfen und die Bereitschaft zur Bewahrung des mühsam Erkämpften zu stärken, dazu möge auch diese kleine bayerische Rechtsgeschichte beitragen.
Manfred Treml