Wachs zwischen Himmel und Erde - Hipp Hans
 

Publikationen

Wachs zwischen Himmel und Erde

Rare Schätze einer fast vergessenen Tradition

Autor Hipp Hans
Verlag Hirmer
Seiten 392
Gattung Historisches Sachbuch
Themenbereich Religion/Spiritualität
Ort Niederscheyern
Regierungsbezirk Oberbayern
Suchbegriff Wachs, Opfergaben
ISBN | EAN 9783777436722 | 9783777436722
ErschienenOktober 2020

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Sie sind Zeugnisse tiefster Not oder Dankbarkeit, kunstvoll gestaltet und von vergänglicher Schönheit: Aus Wachs gearbeitete Opfergaben stellen rare Schätze dar, wie man sie heute kaum mehr sieht. Hans Hipp, der dieses Handwerk selbst in einem traditionsreichen Lebzelter- und Wachszieherhaus erlernte, spürt in diesem Band den wächsernen ”Kultfiguren“ nach.Das Darbringen kunstvoll gefertigter Votivgaben in Wallfahrtskirchen, tief im Christentum verankert, erfuhr im Barock einen Höhepunkt. Mittels hölzerner Formen, der Model, entstanden oft hauchdünn gegossene Wachsobjekte, die Tiere, Menschen oder Körperteile darstellten, um den Bitten der Votanten sowie ihrem Dank für gewährte himmlische Unterstützung bildlich Ausdruck zu verleihen. Anhand kirchlicher Aufzeichnungen in Mirakelbüchern der Wallfahrtstätte Niederscheyern erschließt Hans Hipp ein beinahe vergessenes Kapitel der Kulturgeschichte und beeindruckt mit der Reproduktion einmaliger Exponate.

Rezension

Wachs zwischen Himmel und Erde

In seinem umfassenden Werk „Wachs zwischen Himmel und Erde“ hat Hans Hipp einen Bereich der Kulturgeschichte aufgearbeitet, der zunehmend in Vergessenheit gerät, obschon es sich um eine volkskundliche Besonderheit handelt. Als Besitzer der seit dem Jahr 1610 am Hauptplatz in Pfaffenhofen a. d. Ilm nachgewiesenen Lebzelterei und Wachszieherei hat er sich über mehr als 40 Jahre mit dem Thema Wachs und dessen Bedeutung für die Herstellung von Opfer- und Dankesgaben im Wallfahrtswesen beschäftigt. Die in kunstvoll gefertigten hölzernen Modeln gegossenen Votivgaben dienten – neben Votivtafeln und Votiven aus Holz oder Eisen – über Jahrhunderte hinweg, insbesondere auf dem Höhepunkt der Volksfrömmigkeit und des Wallfahrtswesens in der Barockzeit, den Menschen als wichtiger Helfer in Notzeiten.

Die katholische Bevölkerung in Altbayern und im gesamten süddeutschen Raum brachte eine Vielzahl an unterschiedlich gestalteten, in Wachs gegossenen Darstellungen von Tieren, Menschen, „Fatschenkindern“ oder Körperteilen als Gaben in die Wallfahrtskirchen in der Hoffnung auf Heilung von speziellen körperlichen Leiden oder zur Abwehr von Gräueln und Plünderung in Not- und Kriegsjahren. Mit der Bitte um Schutz vor Krankheit und Drangsalen, vor Unglück in der Familie und vor Viehseuchen, aber auch aus Dank für unerwartete, „wundersame“ Hilfe suchten die Bittsteller (sogenannte Votanten) insbesondere ab dem 17. Jahrhundert die immer zahlreicher werdenden Gnadenstätten auf, um sich mit ihren Anliegen direkt an die Gottesmutter oder an dort verehrte Heilige zu wenden.

Bei seinen Recherchen zur Produktion und zur Verwendung von Votivgaben stieß Hans Hipp quasi vor Ort auf eine besondere Konstellation. Die nahe Wallfahrt zur rund zwei Kilometer entfernten Kirche Mariä Verkündigung in Niederscheyern sorgte mehrere Jahrhunderte hindurch für eine sichere Nachfrage nach den Wachswerken aus Pfaffenhofener Fertigung. Die bis heute unterschätzte Wallfahrt – sie ist nirgendwo in der einschlägigen Literatur erwähnt – ließ zahlreiche Menschen zur Kirche pilgern, um am Gnadenbild der Mutter Gottes eine Votivgabe zu hinterlegen, oft verbunden mit einer Votivkerze, einer Spende „in den Stock“ oder einer Messstiftung.

Die Strahlkraft der Wallfahrt nach Niederscheyern machen die im nahen Kloster Scheyern verwahrten Mirakelbücher sichtbar. Zehn Bände mit rund 20 000 Eintragungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert schildern die Anliegen der zur Kirche pilgernden Menschen aus nah und fern. Dabei werden auch die Hoffnungen der Votanten sicht- und geradezu spürbar. Wiederholt finden sich Hinweise darauf, was die Bittsteller an Votivgaben zur Kirche brachten. Ausgewählte Beispiele aus den Mirakelbüchern lassen die Verknüpfung von Wachsproduktion für Votive und unmittelbarer Verwendung für ein konkretes Anliegen zu Tage treten. Die Einträge, die im originalen Wortlaut der Zeit wiedergegeben sind, machen auch ein Stück Zeit- und Mentalitätsgeschichte sichtbar. In Zeiten von Kriegen und Seuchen suchte die Bevölkerung Halt bei einer höheren Macht und bat aus tiefem katholischen Glauben heraus um Hilfe bei einem Heiligen oder bei Maria als bayerischer Landesmutter. Die fest verwurzelte Volksfrömmigkeit, die im Zeitalter der Gegenreformation ihren Höhepunkt erlebte, bildet zugleich ein Gegenstück zum Bild des strafenden und zürnenden Gottes, das die bayerischen Herzöge und Kurfürsten in ihren Landgeboten und Mandaten (Rechtserlassen zu speziellen Themen) zur Disziplinierung ihrer Untertanen schufen.

Durch die Symbiose von zwei gänzlich unterschiedlichen Quellengattungen – den Modeln mit den Abgüssen einerseits und den Mirakelbüchern andererseits – wird die einmalige Verknüpfung von Produktion, Ausbreitung und Zweck der Wachsfabrikation aus der traditionsreichen Pfaffenhofener Wachszieherei deutlich. Zahlreiche Wachsvotive fanden ihren Weg in das nahe Niederscheyern und waren zugleich wichtige Einnahmequelle der Wachszieher und Lebzelter, die als einzige Berufsgruppe Honig und Wachs der Bienen verarbeiten durften und mit einer nahe gelegenen Wallfahrt ein gutes wirtschaftliches Fundament besaßen.

Die umfassende Darstellung, der ein einführendes Vorwort der Volkskundlerin Nina Gockerell vorangestellt ist, zeigt in zahlreichen, von Hans Hipp selbst gefertigten hochwertigen Fotografien die Vielfalt der Votivgaben. Als Besonderheit sind neben dem Abguss der Votivdarstellungen immer auch die jeweiligen Model abgebildet, aus denen die Objekte in einem aufwendigen Verfahren kunstvoll „bossiert“ wurden, darunter das älteste im Familienbesitz befindliche, das auf das Jahr 1684 datiert ist. Der Verfasser richtet in seiner Darstellung den Blick aber auch über das eigene Unternehmen hinaus auf weitere namhafte Wachszieher, die Votive fertigten, etwa in Tölz, Wasserburg, Altötting oder München, wo die namhaften Hersteller Gautsch und Ebenböck hochwertige Arbeiten schufen, die ebenfalls Aufnahme in das Buch fanden.

Einzelne Kapitel liefern Informationen zum geschichtlichen Hintergrund und zur Ausbreitung des Votivwesens im süddeutschen Raum. Der Zusammenhang zwischen der Schulmedizin und der „Heilkunst“ wird ebenso thematisiert wie die Symbolsprache der Wachsarbeiten, die für spezielle Zwecke bestimmt waren. Augen, Zähne und innere Organe standen für jeweilige Leiden, das Motiv der Kröte fand bei Unterleibsbeschwerden oder Kinderlosigkeit Verwendung. Darstellungen der Bittsteller selbst in betender Haltung, zum Teil fast lebensgroß, blieben als kostspieligste Art der Votivkultur der reichen Schicht vorbehalten. Über die Verknüpfung mit den Mirakelbüchern lassen sich zeit-, mentalitäts- und medizingeschichtliche Fragestellungen aufgreifen, die interessante Einblicke in die barocke Lebenswelt der Landbevölkerung erlauben.

Die vorliegende, reich bebilderte und sorgfältig gestaltete Gesamtdarstellung, an die sich ein ausführliches Literaturverzeichnis anschließt, darf als die wohl letzte Gelegenheit gesehen werden, dieses volkskundlich bedeutende Thema umfassend darzustellen. Hans Hipp ist dies sowohl über sein aus der eigenen Familie überliefertes Wissen als auch dank reicher Erkenntnisse aus Archivrecherchen und zahlreichen Fahrten zu auswärtigen Fertigungsstätten trefflich gelungen.

 Andreas Sauer

Diese Buchbesprechung hat uns die „Zeitschrift „Schönere Heimat“ zur Verfügung gestellt.

Wachs zwischen Himmel und Erde

Ein dickes Buch ist es geworden, das Hans Hipp vorlegt. Sohn Benedikt gab keine Ruh, bis der Vater sein Vorhaben, über den einzigartigen Fundus der Pfaffenhofener Lebzelterei zu schreiben, verwirklichte. Ein Lebenswerk. Ein prachtvoll bebilderter, reich und klug und fleißig mit Quellen und einschlägiger volkskundlicher Literatur belegter Bild- und Text-Band. Über kunstvoll geschnitzte Holzmodel und die aus ihnen gegossenen wächsernen „Kultfiguren“ geht es hauptsächlich.

Eine Rarität ist das Buch wie das Handwerk, von dem es handelt. Anschaulich und einladend, sich darauf einzulassen, ein Handwerk, das es heute so wie ehedem nicht mehr gibt: das des Lebzelters. Eine gewöhnliche „Lebzelterei“, wie sie in manch größerer Stadt Altbayerns anzutreffen war, ist die von Pfaffenhofen an der Ilm nicht. Sie hebt sich heraus – durch ihre vor 400 Jahren begründete seltene Kontinuität, erst heuer mit neuem Leben im „Haus Hipp“ am Hauptplatz 6 der Kreisstadt Pfaffenhofen erfüllt. Wo es ein Konditorei-Café gibt mit Met-Ausschank. Mehr noch: einen „Branchenmix von Kuchen, Torten, Eis und Pralinen über hochwertige Schokoladenerzeugnisse“. Dazu ein „vielseitiges Honigzelten-Sortiment bis hin zu Kirchen- und Opferkerzen“. Dass die liturgischen Objekte zu den Süßigkeiten passen, erklärt sich für den 71-jährigen Hans Hipp „aus dem historischen Berufsbild eines Lebzelters“.

Ein Lebzelter hatte, nach strenger Regel, Lebzelten aus Bienenhonig zu bereiten und zu verkaufen, Met zu sieden und auszuschenken und Bienenwachs auszupressen und zu bleichen. Daraus ergab sich die Herstellung von Kerzen und „gegossenem Wachsbild“ als Votivgaben. Viele davon wurden – aus Dankbarkeit für vom Himmel erfahrene Hilfe und Rettung aus Not und Leid, aber auch als Bitte um Abwendung von Unbill jeglicher Art – in der Pfaffenhofen nahe gelegenen Wallfahrtsstätte Niederscheyern geopfert. Das geht für Hans Hipp aus den alten kirchlichen Aufzeichnungen in so genannte Mirakelbücher hervor. Zehn davon sind noch vorhanden. Das älteste wurde vor 385 Jahren begonnen. Der Benediktinerpater Franz Gressierer, Bibliothekar des Klosters Scheyern, war ein Glücksfall für Hipp: „Ich konnte Pater Franz von meiner Idee begeistern, die Bedeutung der Wachsvotive aus unserer Lebzelterei, über die jahrhundertealten Aufzeichnungen, direkt von den Votanten erklären zu lassen“.

Hipp vermutet, dass „weit mehr Wachsopfer gebracht“ wurden, „als sie in den Mirakelbüchern verzeichnet sind“ und dass sie von Pfaffenhofen stammen, von den Vorbesitzern der Wachszieherei Hans Hipp, die noch viele bis ins 17. Jahrhundert reichende Wachsmodel besitzt. In Pfaffenhofen wurden also die wächsernen Weihegaben gekauft und in der Kirche von Niederscheyern geopfert.“

Was bewog Hipp, eine im deutschsprachigen Raum einzigartige, über Jahre hinweg zustande gekommene umfassende Sammlung von Wachsvotiven aufzubauen? Er wollte „den Glauben, die Schönheit und die Vielfalt dieser `wächsernen Hilferufe` unserer Vorfahren … bewahren.“ Davon legt er in seinem großartigen Werk beredt Zeugnis ab. Dass es keine Selbst-Bespiegelung wurde, also nur den eigenen und Altbestand der Hipp`schen Votivgaben-Model und deren Abgüsse von Heiligen-, Menschen- und Tierfiguren, Leibern, Körperorganen, Köpfen, Häuschen, Fatschenkindern in bewundernswerten, zum Greifen nahen Fotos aufzuführen und zu beschreiben, sondern auch „kunstvoll gestochene Model aus anderen Lebzeltereien“ einzubeziehen, weitet den Pfaffenhofener Fundus auf den ganzen altbayerischen Raum aus. Hinzukommt ein Kapitel über Wachsstöcke und die wächsernen Eingerichte unter Glasstürzen der Firma Gebr. Weinkamer, Salzburg.

Mit besonderem Interesse geht der Leser wohl den „ganzfigürlich“ in Wachs gefertigten Votanten nach. Wer einmal in der ehemaligen Wallfahrtskirche Pürten, in Waldkraiburg eingemeindet, war, hat die reichen feschen Bauersleute ganz in Wachs bewundert, 160 cm bis 80 cm hoch, die Hände gefaltet alle drei, und in Festtagskleidung aus ihrer Zeit – Ende des 17. Jahrhunderts. Ähnliche, noch prächtigere wächserne lebensgroße Votivgaben gab es in Altötting, Tuntenhausen und Maria Einsiedeln. Die wohl schönsten ihrer Art und historisch verbürgten: die auf einem Kissen knienden, ebenfalls betenden Prinzen „Hieronymus“ und „Ignatius Wolfgangus“, die Bayerns Kurfürst Maximilian I. anfertigen ließ, nachdem Gott seine Bitte um Nachwuchs noch im Alter von 63 bzw. 65 Jahren erfüllte. Zu bewundern in der St. Bennokapelle der Münchner Frauenkirche. Solche „Weihestatuen“, die oft mit dem realen Körpergewicht und in physiognomischer Ähnlichkeit in Wachs moduliert wurden, repräsentierten die persönliche Hingabe eines Bittstellers an die himmlische Macht.

Nina Gockerell, die jahrelang die Volkskundeabteilung des Bayerischen Nationalmuseums leitete, fand für ihr schönes Vorwort einen für Hipp & Co passenden Ausspruch des schwäbischen Barockpredigers Abraham a Santa Clara. Er eröffnet den Hipp`schen Schatzbehalter, er soll diese Besprechung beenden: „Wax und Honig … das erste wird fast mehrentheils zu Gottes Ehr angewendet: das andere brauchen die Lettzeltner für Schlecker-Bissel des Menschlichen Appetits“. Ein solches „Schlecker-Bissel“ ist das ganz dicke Buch. Es erfreut Eingeweihte nicht weniger als es Einsteigern in die wundersame Materie des altbayerischen Votivbrauchtums einführt.

 Hans Gärtner  

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